Ausstellung und Lesung:Jenseits des Spielbretts

Lesezeit: 3 min

Etwa 60 Schach-, Kunst und Literaturfans finden nach Mietraching zur Ausstellung "Schach und Poesie". (Foto: Christian Endt)

In bildnerischen Darstellungen wird das Spiel Schach oft nur dokumentiert. Bei der Eröffnung der neuen Schach-Ausstellung einer Vaterstettener Stiftung wurde deutlich: Hierbei geht es vor allem um Kunst.

Von Anja Blum

Der Ritterschlag erfolgt gleich zu Beginn: So etwas habe es noch nie gegeben, sagt Helmut Pfleger, Deutschlands bekanntester Schachjournalist und selbst Großmeister. "Das setzt Maßstäbe." Seine Bewunderung gilt dem dritten Projekt der vor sechs Jahren gegründeten "Schach- und Kulturstiftung G.H.S." aus Vaterstetten, der Ausstellung "Schach und Poesie".

Sie widmet sich zwei Themenbereichen, nämlich Lyrik und Fotografie, jeweils mit Schachmotiven. Außerdem auf dem Programm stehen ein dreitägiges Turnier im Schach 960, einer besonders kreativen Variante, sowie ein Poetry-Slam zum Thema. "Das sind alles Weltpremieren", freut sich Pfleger in seiner so kundigen wie sympathischen Eröffnungsrede. Und zu verdanken sei dies alles dem Gründer der Stiftung, Georg Schweiger - einem doppelten Glücksfall. "Er ist ein starker Spieler und ein schöngeistiger Mensch. Ich habe selbst schon so viel von ihm gelernt."

Ein Eindruck, der sich an diesem Abend im B&O-Parkhotel in Bad Aibling bestätigt. Die Veranstaltung wolle "Brücken schlagen zwischen Schach, Literatur und Kunst", sagt Schweiger. Sie sei eine Einladung, "einfach mal über den Spielbrettrand hinaus zu schauen". Denn Schach erschöpfe sich beileibe nicht nur in spielerischem Ehrgeiz, sondern sei vor allem ein Kulturgut mit einer langen, bewegten Geschichte.

1 / 3
(Foto: Christian Endt)

Initiator der Ausstellung ist Georg Schweiger,...

2 / 3
(Foto: Christian Endt)

...Ulrike Budde liest...

3 / 3
(Foto: Christian Endt)

...und Schachexperte Helmut Pfleger freut sich.

Und seine zahllosen Metaphern dienten bis heute zur Erklärung der Welt. "Der kluge Zug, das Patt oder Remis finden sich in allen möglichen Zusammenhängen", so Schweiger. Außerdem könne man die Schau als Zeichen gegen den "aufkeimenden Nationalismuswahn" verstehen, so der Stiftungschef, ermögliche Schach doch den friedlichen Kontakt der unterschiedlichsten Menschen. "Am Brett sind alle gleich."

60 Menschen aus der ganzen Region

Große Freude hat Schweiger auch daran, bislang schachferne Menschen für das Thema zu begeistern - so wie die Kunsthistorikerin Natascha Niemeyer-Wasserer aus Zorneding, die die Stiftung mit ihrem Sachverstand bereichert und zum Ausstellungskatalog einen Aufsatz über Nabokovs Schachgedichte beisteuerte. Nur einen kleinen Nachteil hat Schweigers Passion rund um das Kulturgut Schach: "Mein Spiel wird immer schlechter", sagt er und lacht.

Am Eröffnungsabend zeigt er sich hocherfreut über "die vielen Gäste aus verschiedenen Bereichen: Schach-, Kunst- und Literaturliebhaber". Etwa 60 Menschen aus dem Landkreis Ebersberg, aus München und von noch weiter weg sind gekommen, obwohl Mietraching nicht gerade zum Wirkungskreis der Baldhamer Stiftung zählt. Doch das Parkhotel hatte sich dank Hausherr Ernst Böhm, Ebersberger Kreisrat und Schachspieler, als formidabler Veranstaltungsort angeboten.

Dort ist nun also die Vielfalt der Symbole und Metaphern des Schach in Lyrik und Fotografie zu bewundern. Neun Plakate zeigen Schachgedichte - von Größen wie Morgenstern oder Nabokov bis hin zu Unbekannteren wie Tomas Tranströmer oder Nora Bossong. Komplett zu finden ist Schweigers persönliche Lyrikauswahl im Katalog zur Ausstellung. Insgesamt umfasst sie 32 Autoren vom 11. Jahrhundert bis in die Gegenwart, wobei der Schwerpunkt auf dem 20. Jahrhundert liegt. Im Katalog wie auf den Plakaten sind die Gedichte ergänzt um Angaben zu den Biografien, zur Entstehung der Werke, ihrer Übersetzung oder Interpretation.

So lernt man zum Beispiel den persischen Dichter Omar Khayyam kennen, den "Zeltmacher", dessen Lebensdaten genauso ungewiss sind wie die Schreibweise seines Namens. Seine fatalistisch-humorvollen Verse aber liebt nicht nur Großmeister Pfleger: "Welt ist ein Schachbrett, Tag und Nacht geschrägt - Wo Schicksal Menschen hin und her bewegt - Sie durcheinanderschiebt, Schach bietet, schlägt - Und nacheinander in die Schachtel legt".

Bei Schach geht es oft um Dokumentation - hier geht es um Kunst

Besonders lebendig werden die Gedichte in der Lesung von Ulrike Budde, Autorin aus Bad Tölz. Sie präsentiert - etwas leise aber fein - eine Auswahl und macht damit die Bandbreite von Schachpoesie deutlich: Sie kann genauso ergreifend wie erhellend oder erheiternd sein, je nachdem, welches Motiv, welches Gefühl den Autor leitete. Sei es Wut angesichts politischer Missstände, die Angst vor dem nahenden Tod oder der verwegene Mut des Revolutionärs. Dazu gibt es meisterliche Gitarrenmusik von Leopold Henneberger von der Ebersberger Musikschule.

Der zweite Teil der Ausstellung zeigt bemerkenswerte, zumeist höchst ästhetische Arbeiten von acht Fotografen aus der Region zum Thema. Das Besondere: dass es sich dabei um Kunst handelt, nicht um Dokumentation, wie dies sonst bei Schachaufnahmen üblich ist. Ottilie Gaigls Fotocollagen heißen "Politische Schachzüge", sie zeigen zum Beispiel Bauern als Verfügungsmasse, Bjarne Geiges gibt dem Betrachter Rätsel auf, indem er diverse Schachbegriffe wie König, Duell oder matt in Bilder überführt.

Dasselbe macht Dominic Hausmann, allerdings in verwegener Low-Budget-Optik. Thomas Hümmler stellt in schlichter Ästhetik spektakuläre Züge der Schachgeschichte dar, genauso wie Peter Hinz-Rosin, der daraus ein abstrahiertes Vexierspiel zaubert. Die Dynamik des Spiels kommt bei Christian Endt zum Tragen, der ein Blitzturnier per Langzeitbelichtung auf Leinwand bannt, sowie bei Heidi Schmiedinger, die mit verwischenden Lichteffekten arbeitet. Martin Weiand hingegen lässt filigrane Figuren aus Wasser entstehen und stellt so die Vergänglichkeit des Schach in den Vordergrund.

"Schach und Poesie", Ausstellung der Schach- und Kulturstiftung G.H.S. im B&O-Parkhotel Bad Aibling, zu sehen bis Sonntag, 4. Dezember, täglich von 9 bis 18 Uhr. Den Katalog gibt es an der Rezeption oder per Mail an georg.schweiger@t-online.de.

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: