Auf der Jagd nach Filmschauplätzen:Wenn die Suche niemals endet

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Vom Discobetreiber zum Filmmensch: Willi Rünger aus Steinhöring hat sich in mehr als 30 Jahren durch die deutsche Fernsehlandschaft gearbeitet. (Foto: Christian Endt)

Der Szene-Scout Willy Rünger organisiert Drehorte für den Bayerischen Rundfunk. Herumgekommen ist er in der halben Welt, aber daheim war und ist er in Steinhöring

Von Alexandra Leuthner

Willy Rünger ist immer auf der Suche - er sucht nach interessanten Orten. Vermutlich selbst dann, wenn er, wie in diesen Tagen, ein bisschen unbeweglich ist. Schon bevor er sich ins Auto setzt, um einen Drehort anzuschauen, muss er sich Gedanken machen, eine Ahnung davon haben, was er sucht, und wo er es finden kann. Einen Landgasthof, in dem eine Wirtshausschlägerei spielen soll; einen Pferdestall, ein Fabrikgelände, ein weites Feld, eine Hügellandschaft. Und mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung weiß er meist auch, ob es sich lohnt, das Schlösschen auf der Insel mitten im See überhaupt in Augenschein zu nehmen, ob er eine Chance hat auf eine Drehgenehmigung. "Die Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung ist die Behörde, mit der ich am meisten zu tun habe."

Rünger arbeitet als Szene-Scout, in den vergangenen Jahren ausschließlich für den Bayerischen Rundfunk und die Vorabend-Serie "Dahoam is Dahoam". Die erste Folge der bayerischen Saga um die Familienverstrickungen im imaginären Örtchen Lansing ging 2007 auf Sendung, bis mindestens 2018 wird sie wohl weiterlaufen, so lange jedenfalls steht Rünger unter Vertrag. Er ist jede Woche zwischen dem Dachauer Land, wo die Produktionsstudios für die Innendrehs stehen, Steinhöring, wo er zu Hause ist, und eben jenen Aufnahmestätten unterwegs, die er für die Produktionsfirma auftreiben muss.

Im Moment allerdings hat er seine Aufgaben einem Kollegen übergeben, er kann nicht Auto fahren, sonst hätte er auch gar keine Zeit, sich auf einen Ratsch in einem Ebersberger Kaffeehaus zu treffen. Rünger ist leicht zu erkennen: Filmmensch, begeisterter Biker, Weltreisender - all das hat Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Das Tuch, das er locker um den Hals geschlungen hat, passt zu den hellblonden Haaren. Den rechten Arm hat er vorsichtig auf Hüfte und Oberschenkel gelegt, und es sieht ein bisschen unbequem aus, wie er da an einem Ecktisch bei einem Wasser und einem Espresso sitzt. Doch wenn es den 54-Jährigen nervt, dass der Trümmerbruch in seinem Arm ihn vorübergehend zur Untätigkeit verdammt, dann weiß er es gut zu überspielen. Der Kollege, der ihn vertritt, der schlafe jetzt schon schlecht, erzählt Rünger und grinst. "Nach nur drei Wochen."

Szene-Scout, das heißt nicht: hinfahren, anschauen und den Ort der Produktionsfirma melden. Nein, sagt Rünger, und erzählt von Vorterminen, Zweitbesichtigungen mit Ausstattern und Regisseuren, vom Besorgen von Dreh-Genehmigungen von Kirchen, Gemeinden, Kreisverwaltungsreferaten, der Polizei. "Manchmal sind das 20 an einem Tag." Für eine Daily-Soap wie "Dahoam is Dahoam" sei er pro Woche mit fünf Regisseuren an verschiedenen Orten beschäftigt. Wenn der Apotheker Roland Bamberger, alias Horst Kummeth, in seine Lansinger Apotheke geht, tut er das in Tettenhausen, einem Gemeindeteil von Waging am See, wo die sogenannten E-Shots gedreht werden - meistens eine Totale, die dem Zuschauer zeigt, wo die Handlung spielt. Tettenhausen nämlich dient als Außenkulisse für Lansing. Tritt Bamberger aber durch die Tür ins Innere der Apotheke, dann ist er im Dachauer Studio. Zwei Orte also, zwei Drehtage für eine Filmsequenz. Und dann gibt's noch den sogenannten Außen-Außendreh - und da ist Rünger am Zug.

Um die richtigen Orte finden zu können, müsse er das gesamte Drehbuch kennen, von den Synopsen, den ersten Ideen also, bis zur End-Fassung mit allen Dialogen, Bildern und Szenen. "Wenn ich losziehe, kann ich mit dem Wort Bauernhof allein nichts anfangen. Dann muss ich wissen, was der Regisseur will: Soll's ein Zweiseit-, Dreiseit- oder Vierseithof sein, mit Tieren oder ohne, bewirtschaftet oder nicht, brauchen wir die Leute dazu?" Und hat er die richtige Location gefunden, ist die Arbeit für ihn noch lange nicht vorbei. "Ich bin so ein bisschen Mädchen für alles", erzählt er, "wo können die Schauspieler essen, wo ziehen sie sich um, wo kann ich die Komparsen warten lassen", all diese Fragen müsse er klären. Bei "netten Drehs" sei er gern vor Ort, wie im vergangenen Sommer im Artesano in Ebersberg, bei anderen regle er alles vorher.

Mehr als drei Jahrzehnte im Filmgeschäft haben Rünger zu einem Allrounder gemacht. Angefangen hat er als Elektriker bei der Produktionsfirma Inselfilm, zuvor betrieb der Steinhöringer in seinem Heimatort eine Diskothek - Punkrock, Rockabilly, kein Mainstream also und nichts für "leichte Nerven." Das gilt auch für das, was danach kommt. Er arbeitete bei Theaterproduktionen, als Beleuchter, Techniker, bewarb sich beim Bayerischen Rundfunk und fand sich unversehens am Set vom "Schwammerlkönig" wieder. "Und da waren sie alle: Fierek, Sedlmayr, Otti Fischer." Rünger arbeitet für den "Tatort", erlebte die Hochzeiten großer bayerischer Darsteller wie Helmut Fischer, Max Grießer, Günther Maria Halmer, Erni Singerl. "Solche Schauspieler gibt es heute gar nicht mehr", sagt er, dafür aber "viele Möchtegerns, die meinen, dass sie wer sind". Im Gegensatz zu jenen, "die wirklich wer sind".

Zu den letzteren gehört für ihn unbedingt Armin Müller-Stahl. Bei einer Filmproduktion, Rünger ist inzwischen Aufnahmeleiter, verschiebt sich die Szene, in welcher der international bekannte Schauspieler auftreten sollte, immer wieder. Seit sechs Uhr ist Müller-Stahl am Set, seit sieben raus aus der Maske, mittags ist seine Szene immer noch nicht dran. "Ich hab mich immer wieder entschuldigt", erzählt Rünger. Dann, um zwölf Uhr, sucht er den Schauspieler noch einmal auf, "ich war rot bis unter die Haarspitzen". Müller-Stahl habe nur kurz hochgeschaut und gesagt: "Ich hatte eine Zeitung, ein Getränk, der Tag ist bezahlt. Wenn wir heute nicht drehen, drehen wir eben ein andermal."

Rünger arbeitete sich durch die deutsche Filmlandschaft, als Aufnahmeleiter, Verantwortlicher für Ausstattung, drehte "Gegen den Wind" an der Ostsee, arbeitete für "Marienhof", Sendungen wie "Glücksrad", "Abenteuer Leben" oder auch Werbespots, reiste für Filmproduktionen ins europäische Ausland, nach Afrika und Asien. "Da kommst du in Länder, da willst du nicht hin". Fünf Jahre lebte er in Berlin, drei in Hamburg, seine Wohnung in Steinhöring aber behielt er. Sie ist sein "Dahoam", und vielleicht der einzige Ort, nach dem er nie suchen musste.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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