Andreas Stephan im Gespräch:"Ich bin auch angeprangert worden"

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Andreas Stephan, 62, wäre gerne noch im Landratsamt geblieben. Nun muss der Leiter der Zentralabteilung schon am Freitag in den Ruhestand gehen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wer mit dem Landratsamt zu tun hatte, hatte irgendwann meist auch mit Andreas Stephan zu tun. Seit Jahrzehnten war er in vielen Funktionen in der Behörde tätig. Jetzt geht er mit 62 in den Ruhestand - seine Lebensplanung sah eigentlich anders aus

Interview von Barbara Mooser, Ebersberg

In diesem Sommer muss Andreas Stephan nicht mehr sehnsüchtig nach draußen schauen, wenn montags perfektes Motorradwetter ist und für das Wochenende Regen angekündigt wird. Denn dann kann er sich einfach auf seine 129 PS starke Honda Crosstourer setzen und in die Berge düsen oder auch Richtung Schwarzwald, wo er sich besonders wohl fühlt. Nach mehr als 30 Jahren im Landratsamt geht der 62-jährige Leiter der Abteilung Zentrales an diesem Freitag in denRuhestand. Sein Lebensplan, das räumt er offen ein, sah eigentlich anders aus: Am liebsten hätte er sich erst im Alter von 67 plus aus dem Arbeitsleben verabschiedet.

Doch die Gesundheit lässt das nicht zu, die Ärzte hätten ihm geraten, früher den Abschied zu nehmen, erzählt Stephan, der als die "graue Eminenz" in der Behörde an der Eichthalstraße gilt. Viele, die mit dem Landratsamt einmal etwas zu tun hatten, hatten es auch mit ihm zu tun - in seiner Jahrzehnte dauernden Karriere war Stephan unter anderem Jugendgerichtshelfer, Jugendamtsleiter, Chef der Hartz-IV-Behörde und - eher ehrenamtlich - auch zeitweise der oberste Statistiker. "Mir hat es immer Spaß gemacht, etwas Neues zu lernen", sagt der gebürtige Münchner, der jetzt mit seiner Frau in Ebersberg lebt. Vor seiner Sozialpädagogikausbildung war er bereits Fahrlehrer und hatte bei der Bundeswehr eine Ausbildung zum Verwaltungsangestellten für die Kommunalverwaltung absolviert.

SZ: Sie haben einiges erlebt im Landratsamt - wie denken Sie nun an die Zeit zurück?

Andreas Stephan: Es war genau die richtige Entscheidung, die ich aber eigentlich gar nicht so richtig für mich selbst getroffen habe - das war eher so etwas wie Schicksal. Nach einem Praktikum und einer Einstellung mit einem Honorarvertrag hat mich 1986 der damalige Sozialamtsleiter Eduard Grill mit befristetem Vertrag für die Betreuung von Asylbewerbern ins Amt geholt. Er brauchte ganz schnell einen Sozialarbeiter, weil die Bundeszentrale gesagt hat, dass sie eine Woche drauf einen Bus voll Asylbewerber schicken würde. Ich kam gerade aus dem Urlaub, und er fragte: Kannst du morgen anfangen? Darüber hatte ich mir vorher natürlich noch nie Gedanken gemacht. Aber dann bin ich geblieben. Auch wenn ich in der Zeit immer wieder Angebote hatte, woanders hinzugehen.

Was wäre Ihr Traumberuf gewesen als junger Mensch?

Mathematik- und Physiklehrer fürs Gymnasium wollte ich immer werden. Aber ich habe schon mit 20 Jahren meine Jugendliebe geheiratet, da musste Geld verdient werden, da musste man für sich sorgen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich kein Studium beginnen, wo man mit 26 oder so erst fertig ist. Aber mein Traumberuf - und den habe ich eine Weile hier am Landratsamt sogar ausgeübt - ist Jugendgerichtshelfer.

Warum?

Weil man die sozialarbeiterischen Fähigkeiten in eine Art gutachterliche Tätigkeit fürs Gericht einbringen kann. Der Jugendgerichtshelfer ist ja im Prinzip ein Ratgeber der Gerichtsbarkeit, kein Therapeut oder Händchenhalter. Er ist dafür da, für einen jungen Menschen den richtigen Korridor fürs Leben zu finden. Die vier Jahre, in denen ich Jugendgerichtshelfer war, waren ein erfüllter Traum.

Sie haben den Ruf, dass Sie streng sind mit den Menschen. War das damals auch schon so?

Ja, doch. Und es gibt durchaus unterschiedliche Ansichten unter den Jugendgerichtshelfern über den Stil der Jugendgerichtshilfe. Dort bin ich manchmal auch angeprangert worden: Wie kann man für eine so geringe Tat eine so strenge Maßnahme empfehlen?, hieß es da, als ich beispielsweise einmal für einen jungen Menschen, der schwarz gefahren ist, ein Jahr Betreuungsweisung empfohlen habe, weil sein Leben total schief hing. Das Jugendgerichtsgesetz lässt so etwas durchaus zu, es besagt, dass man eine Ahndung finden muss, die für die Entwicklung des jungen Menschen geeignet ist. Den Jugendlichen von damals kenne ich heute noch, und er ist mir auch heute noch dankbar. Das weiß man natürlich vorher nicht.

Auch in Ihren andern Tätigkeitsbereichen galten Sie eher als Hardliner.

Den Ruf hatte ich mir schon im Sozialamt erworben. Wenn ein Durchreisender - also ein Obdachloser, der Platte macht - bei uns irgendwas bekommen wollte, hat man ihn zu mir gesetzt, und ich habe erst einmal gefragt: Wie schaut's aus? Wollen Sie arbeiten? Da hat dann natürlich jeder gesagt: Ja, ja, aber ich finde nichts. Aber ich habe immer die Leute sofort zum Arbeiten gebracht, ich hatte da meine Kontakte zu den Betrieben. Und wenn es nötig war, habe ich auch noch irgendeine Pension im Landkreis vermittelt. Auch aus dieser Zeit kenne ich noch Leute, die ich auf diese Weise von der Platte runtergeholt habe. Und so haben wir dann auch das Jobcenter ausgerichtet: Fördern und Fordern. Das haben wir sehr hart durchgezogen. Der liebste Spruch war mir, wenn mir jemand gesagt hat: "Leckt's mich doch am Arsch, dann gehe ich halt arbeiten!"

Es gab damals auch mal Berichte, dass Ebersberg die strengste Hartz-IV-Behörde Deutschlands habe.

Das ist eben unser Geist, den wir hier in Ebersberg haben. Und man muss auch dazu sagen: Das Hartz-IV-Gesetz ist damals blank auf den Tisch gekommen und keiner wusste, wie man es vollziehen soll. Wir haben es halt relativ streng ausgelegt und haben zum Beispiel gefordert, dass jemand, der von uns Hilfe will, uns sechs Monate lang seine Kontoauszüge zeigen muss - die lückenlose Überprüfung. Wer das nicht machte, bekam die Hilfe einschränkt auf das Minimum. Wir haben auch sehr viel entdeckt dabei, wo wir - ich sag's mal positiv - die Leute geschützt haben davor, uns zu betrügen.

Sie hatten auch einen Sozialermittler...

Ja, den haben wir heute noch. Und ich bin mir als Geschäftsführer auch nicht zu schade gewesen, selber die Ermittlungen in die Hand zu nehmen und mich in einem speziellen Fall auch mal um vier Uhr in der Früh vor ein Haus zu stellen und zu warten, wann der Hilfeempfänger wohl zum Fliesenlegen fährt. Diese strenge Haltung hat ja nicht nur einen Einfluss auf den Einzelfall, das wirkt auch generalpräventiv. Es signalisiert anderen: Da musst du vorsichtig sein. Und ich sehe das als wichtig, dass Hilfeempfänger wissen, dass sie Leistungen nicht einfach geschenkt kriegen.

Sie sind bekannt für Ihre Fähigkeit, recht deutlich zu formulieren, und haben sich auch nicht gescheut, den damaligen Landrat Hans Vollhardt heftig zu kritisieren, als dieser das Jugendamt in mehrere Zuständigkeitsbereiche aufteilte. Hatten Sie jemals Sorge, dass Sie zu weit gehen?

Das hatte ich nie. Es mag sein, dass ich in machen Dingen sehr weit gegangen bin. Aber es ging mir immer ums Fachliche. Die Teilung des Jugendamts war einer der herbsten Rückschläge in meinem beruflichen Leben. Inzwischen ist die Entscheidung wieder aufgehoben, und es ist heute unumstritten, dass es eine verantwortliche Person für das Jugendhilfefeld geben muss. Die Teilung war ein lang anhaltender Fehler.

Sie haben mit vier Landräten zusammengearbeitet, gab es auch persönliche Kontakte?

Persönliche Kontakte gab es immer wieder, auch mit Herrn Vollhardt. Ich habe auch Hermann Beham bis zu seinem Tod immer wieder im Altersheim besucht, wir haben uns auch E-Mails hin- und hergeschrieben. Mit Gottlieb Fauth bin ich heute noch sehr viel im Kontakt.

Böse Stimmen sagen, Sie waren selbst mal eine Weile Landrat, ohne dass Sie den Titel tragen durften. Das war damals, als Gottlieb Fauth seine massiven gesundheitlichen Probleme bekam.

Es war eine Zwangssituation. Gottlieb Fauth hatte mich als Geschäftsleiter engagiert, damit ich ihn in seiner Tätigkeit als Landrat unterstütze. In der Zeit, als es ihm gesundheitlich ganz schlecht ging und er kaum mehr präsent war, musste ich mit seinem Stellvertreter Walter Brilmayer zusammen das Amt mit Struktur erfüllen. Die Zusammenarbeit in den bis zu neun Monate dauernden Vertretungen war ausgesprochen gut und so harmonisch. Selbst wenn wir uns heute treffen, sagen wir uns noch: Das haben wir super gemacht. Vielleicht gab es die Kritik an mir damals, weil manche meinten, dass ich mich zu viel in die Öffentlichkeit begeben habe und dadurch der Eindruck entstanden ist, ich sei der eigentliche Landrat. Das war aber zum einen zwangsweise, weil es einfach sein musste. Zum anderen, das betone ich ausdrücklich, gab es keine einzige Sache, die ich entschieden habe, ohne mich vorher mit Gottlieb Fauth abzusprechen. Fauth war im Hintergrund immer da, es gab keinen Dissens.

Apropos Dissens: Es gab vor einigen Jahren einen kleineren Skandal im Landratsamt, als immer wieder vertrauliche Informationen nach außen drangen. Damals soll die Stimmung in der Behörde extrem schlecht gewesen sein. Wie haben Sie das empfunden?

Das hat angefangen zu der Zeit, als ich Jugendamtsleiter war, und eigentlich angehalten bis zu der Zeit, als ich schon Geschäftsleiter war. Immer sind Informationen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, irgendwo aufgetaucht, manchmal waren das ganz profane Dinge. Das irritiert. Ich vergleiche das ganz gern mit einer Familie: Wenn dort etwas ausgesprochen wird, muss das auch nicht gleich dem Nachbarn erzählt werden. Natürlich kann man nie vermeiden, dass einer einmal im Frust in die Kneipe geht und seinen Freunden erzählt, wenn was schief läuft und sich das weiter verbreitet. Das ist ganz normal. Aber bei uns sind eine Weile ganz gezielt Informationen nach draußen transportiert worden. Wir haben mit den Mitarbeitern im Haus, aber auch mit den Kreisräten darüber gesprochen, dann ist es besser geworden. Ich denke, heute ist es wieder auf einem ganz normalen Niveau aufgekommen. Es ist aber nie jemand verurteilt oder entlassen worden deshalb. Ich bin ja für gewöhnlich einer, der ein sehr offenes Wort führt, aber das war auch für mich eine Zeit, wo ich sehr darauf geachtet habe, was ich sage, und das war nicht angenehm. Es wäre aber auch übertrieben zu sagen, dass es ein Riesen-Problem gewesen wäre.

Und wie ist heute die Stimmung?

Ich will das mal mit einem Beispiel beschreiben: Als ich im Landratsamt angefangen habe, hat man neue Mitarbeiter, die den Begriff gar nicht kannten, abends zum Wolpertingerfangen eingeladen, man hat sie also auch mal verarscht und miteinander Freizeit verbracht. So ist das heute bei uns immer noch, dass man über das Dienstliche hinaus auch privat miteinander lustig ist. Wir machen tolle Betriebsausflüge, die Mitarbeiter fahren am Wochenende, also in ihrer Freizeit, zusammen weg, zahlen die Fahrt, das Hotel und das Essen selber, das Landratsamt zahlt nur ein Abendessen und einen kleinen Zuschuss für die Fahrt. Und trotzdem gibt es einen Run auf die Plätze, es ist immer ruckzuck alles ausgebucht. Das ist sensationell, das ist einfach toll. Das ist eine Grundstruktur des Landratsamts, dass wir uns einfach gut verstehen. Natürlich herrscht nicht immer eitel Sonnenschein im Haus, es gibt auch bei uns Leute, die sich anfauchen oder mal nicht mehr miteinander reden - auch das ist wie in einer Familie.

Fällt es Ihnen schwer zu gehen?

Ja, es fällt mir sehr schwer, weil meine Lebensplanung bis vor einem Jahr noch ganz anders war. Sehr viele in diesem Amt waren erstaunt, als ich angekündigt habe, dass ich aufhöre. Aber mein Gesundheitszustand hat derartig nachgelassen, dass die behandelnden Ärzte vor einem Jahr gesagt haben, ich muss aufhören. Es ist jetzt nicht so, dass der Tod vor der Tür steht. Aber die Ärzte sagen, dass es sehr kritisch werden könnte, wenn ich weiter dieser Belastung unterliege. Ich muss Motorrad fahren, wandern, schwimmen, das ist für mich jetzt viel wichtiger.

© SZ vom 08.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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