Diesjähriges Derblecken:Alles nur geklont

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Beim umjubelten Singspiel verschwinden die Grenzen zwischen Lüge und Wahrheit, Mama Bavaria widmet sich den bayerischen Hoffnungsträgern

Von Wolfgang Görl

Dass Donald Trumps Geist auch durch den Paulanersaal auf dem Nockherberg wabert, ist nach Lage der Dinge unvermeidbar. Immerhin, der richtige Trump bleibt der Salvatorgemeinde am Mittwochabend erspart, dafür aber setzt Luise Kinseher alias Mama Bavaria dem US-Präsidenten gleich mal ein unmissverständliches Zeichen bayerischen Selbstbewusstseins entgegen: "Wir sind die Besten! Bavaria first!" Und noch eins stellt sie zu Beginn ihrer Rede fest: "Ich habe entschieden: Horst Seehofer bleibt bayerischer Ministerpräsident... Was der Donald Trump mit 70 werden kann, das kann Horst Seehofer mit 70 noch lang bleiben."

Nachdem das geklärt ist, kann sich die Salvatorrednerin den Einzelheiten widmen. Zum Beispiel den "Hoffnungsträgern" der CSU, allen voran dem Generalsekretär Andreas Scheuer: "Da darf man sich von Frisur und Brille nicht täuschen lassen. Das ist wie bei einer China-Kopie: Von außen Ähnlichkeit mit einer Edel-Karosse, aber innen schwere Mängel." Überhaupt sei die CSU "die weltweit einzige Partei, die mehr Hoffnungsträger hat als Mitglieder". Selbstredend gehört auch Innenminister Joachim Herrmann dazu: "Unsere Festung! Wo andere eine Aura haben, da hat er einen Burggraben." Tja, aber leider gleichen nicht alle bayerischen Politiker so einer festen Burg, weshalb auch die Bayern, wie Mama Bavaria beklagt, in unsicheren Zeiten leben, "im Bermudadreieck zwischen Putin, Trump und Merkel".

Da ist es gut, dass Seehofer schon fast einen Termin bei Trump hat. "Mit dem muss mal einer reden, der ihn versteht. Diesem Trump gehören mal die Wadeln nach vorn gerichtet." Während Wirtschaftsministerin Ilse Aigner glimpflich davonkommt, weckt deren Kabinettskollege Markus Söder den Spottgeist der Starkbierrednerin: "Es gibt in Bayern kaum mehr einen Hund, der zusammen mit Söder noch kein Söder-Selfie hat." Und sollte Söder eines Tages Ministerpräsident werden, müsste die Staatskanzlei aufstocken: "Um alle unterzubringen, denen Söder bereits ein Amt versprochen hat, bräuchte Bayern 92 Ministerien."

Der Opposition hat Mama Bavaria nur wenig Tröstliches zu bieten. Wenigstens der scheidende SPD-Chef Florian Pronold fängt ein - wenn auch vergiftetes - Lob ein: "Du bist ja wie einer der ganz großen Weine. Die Qualität zeigt sich im Abgang."

Was aber Bayern in den Augen der Derbleckerin wirklich ausmacht, "sind seine Rebellen". Solche wie der Jennerwein oder der Schmied von Kochel. Und man glaubt es nicht: So einen findet Mama Bavaria auch bei der Salvatorprobe. Es ist Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid. "Der hat gewagt, was sich in der Geschichte Bayerns noch nie jemand zu wagen getraut hat. Er hat die Preisbremse für das Oktoberfest gefordert."

Nach der Salvatorrede, für die es freundlichen Applaus gab, das Singspiel: Unheil verheißende Glockenschläge von der Bühne; die Leuchtschrift "Zur schönen Aussicht" flackert, es knarzt und brummt so gruselig wie in einem Horrorfilm. Die Empfangshalle eines heruntergekommenen Hotels ist zu sehen, altmodische Tapeten, an der Glastür zum Frühstücksraum sind einige Scheibe zerbrochen. Ein buckliger Portier (Butz Ulrich Buse) im zerschlissenen Frack schleppt sich übers Parkett und krächzt: "Der eine sagt so, und der andere sagt so, und die Wahrheit liegt, wenn überhaupt, irgendwo."

Damit ist die Richtung vorgegeben. Was ist wahr, was ist gelogen? Und spielt das überhaupt noch eine Rolle im postfaktischen Zeitalter, in dem Politiker jeden Quatsch behaupten können und gerade damit erfolgreich sind? Ist heutzutage ja schnurzegal, ob eine Aussage wahr ist, Hauptsache, sie hat die erwünschte Wirkung. Darum vor allem geht es beim Singspiel, das Thomas Lienenlüke geschrieben hat. Die Songs hat Gerd Baumann vertont, der Hauskomponist von Marcus H. Rosenmüller, der erneut eine bildkräftige Inszenierung hingelegt hat. "Scheining" lautet der Titel der vertrackten Geschichte - eine nicht übermäßig versteckte Anspielung auf Stephen Kings Horrorklassiker "Shining", den Stanley Kubrick zum Fürchten genial verfilmt hat.

Kaum ist der Portier von der Bühne verschwunden, tauchen zwei traurige Gestalten und eine Dame im eleganten Kostüm auf. Hey, das ist ja Sahra Wagenknecht (Rosetta Pedone), die eisige Lady der Linken, und die setzt zu einer revolutionstheoretischen Grundsatzrede an, bei der den beiden Hören und Sehen vergeht. Wer die zwei sind? Der eine, ein blonder Zausel, ist der Grüne Anton Hofreiter (Wowo Habdank), bei dem anderen, Typ Streber mit Brille, handelt es sich um Bayerns glücklosen SPD-Chef Florian Pronold (Stefan Murr). Das Duo hat einen teuflischen Plan ausgeheckt, "der die Geschichte Bayerns auf den Kopf stellen wird": eine rot-rot-grüne Verschwörung, für die man die CSU-Spitze ins Hotel geladen hat, unter dem Vorwand, den Festakt "60 Jahre Opposition in Bayern" zu zelebrieren. Tatsächlich aber sollen die Schwarzen in einem als Fahrstuhl getarnten Reproduktionsapparat geklont werden. Und was will man mit den Doppelgängern? "Dann tauschen wir sie aus und programmieren ihnen den größten Schwachsinn ein", frohlockt Pronold. Darauf Wagenknecht: "Ja, aber sie sollten sich vom Original schon unterscheiden."

Ihr erstes Opfer ist Ilse Aigner (Angela Ascher), deren Klon, wie gewünscht, nichtssagende Politikerfloskeln hervorsprudelt und zudem die Vorteile der CSU singend verrät: "Raufen, saufen, Schafkopf spielen, auf den eignen Vorteil schielen, feiern, fressen, reihern, prassen, von alten Spezln helfen lassen." Für einen Moment bekommt Pronold wegen der perfiden Masche moralische Bedenken. Hofreiter beruhigt: "Selbst in unserer Verdorbenheit sind wir ihnen moralisch haushoch überlegen."

Allmählich trudeln die Gäste ein: Erst Joachim Herrmann (Michael Vogtmann), dann Horst Seehofer (Christoph Zrenner) sowie die nicht geladene Frau Merkel ("Mit mir sollte man immer rechnen") und schließlich Söder, der sofort eine Hymne auf sich selbst trällert: "Wir tollkühnen Männer..." Als dann noch Oberbürgermeister Dieter Reiter auftaucht und einen dunkelhäutigen Flüchtling (Simon Pearce) mitbringt, der so wüst gegen Flüchtlinge wettert wie CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, dürfte auch der letzte Freibiertrinker ins Grübeln kommen: Auf nichts ist mehr Verlass heutzutage, nicht mal auf afrikanische Flüchtlinge.

Es ist ein verzwicktes Spiel, das Rosenmüller und Lienenlüke mit dem Publikum treiben. Seehofer, Söder und Herrmann werden geklont, reden dummes Zeug und wissen bald selbst nicht mehr, ob sie echt sind oder gefälscht. Sahra Wagenknecht gibt es sogar in dreifacher Ausfertigung, was ihr gar nicht so unrecht ist: "Mich kann es nicht oft genug geben." Auch Martin Schulz (Thomas Wenke) verschlägt es ins triste Hotel, herzlichst begrüßt er die Kanzlerin (Antonia von Romatowski): "Oh, welch schöner Anblick, meine zukünftige Amtsvorgängerin." Und er fügt hinzu: "Ja, ich bin wirklich ein Heiland." Ihm zumindest bleibt das Klonen erspart, verwirrt aber sind am Ende alle - bis ein Zeitungsverkäufer auftritt: "Riesenbetrug beim Singspiel. Extrablatt! Hotel war gar kein Hotel! Klonmaschine war nur erfunden!" Viel Verwirrung und noch mehr Applaus.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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