Die Nadelprobe:Viel Holz

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Tannen stehen in Reih und Glied, ein paar Fichten bekommen auch eine Chance: Überall in der Stadt preisen Verkäufer derzeit ihre Bäume an. Das Geschäft brummt - nach dem letzten Fest hat der Abfallwirtschaftsbetrieb mehr als 17 000 Exemplare eingesammelt

Von Toni wölfl

Wer durch die Stadt spaziert, sieht sie überall. In Schaufenstern, auf Plätzen, auf Werbeplakaten. Ob der größte am Marienplatz oder die kleineren auf Weihnachtsmärkten: Christbäume beherrschen das Stadtbild. Für Richard Kapp bedeutet das Hochsaison. Er verkauft Christbäume auf der Theresienwiese. Vier Wochen lang lebt der 61-Jährige aus Herzogenaurach in einem Container neben dem Winter-Tollwood. "Ich bin hier bei Wind, Schnee und Regen. Mir macht's Spaß, ich mach es nur noch als Hobby", sagt der Franke, dessen Vater 1969 zum ersten Mal hier in München Christbäume verkauft hat.

An diesem Samstag ist Halbzeit, die ersten zwei Wochen sind rum, die wenigen Blaufichten hat Kapp schon verkauft. "Am beliebtesten sind aber die Nordmanntannen." Hunderte davon verwandeln den Betonplatz neben der U-Bahn-Station in einen Nadelwald. Die Bäume stammen von Kapps eigener Plantage in Mittelfranken und von anderen Baumkulturen aus Dänemark. "Ich such' sie selber aus. Dreimal war ich im August und September in Dänemark." Dann lässt er die schönsten Exemplare markieren. Kapp schwärmt für die Qualität aus dem Nachbarland. "Die Dänen haben keinen Frost, die Winter sind nicht so hart. Das führt zu fülligem, rundem Wuchs und kräftigen Nadeln."

Letztere seien das Hauptmerkmal für einen gesunden Baum, sagt Christbaumverkäufer Günter Hasreiter. "Je dunkler die Nadeln, desto besser die Qualität", weiß der 51-jährige Münchner. Er macht gerade Mittagspause, sitzt auf einer Bank am Elisabethmarkt in Schwabing. Schüler gehen vorbei, die Sonne scheint, Hasreiter legt seine Jacke zur Seite. "Die Wärme ist schön für uns, aber schlecht für die Bäume." Das merkt man auch im heimischen Wohnzimmer, wo das satte Grün schnell verblassen kann. "Um Nadeln auf dem Wohnzimmerteppich zu verhindern, am besten Wasser in den Christbaumständer gießen", rät Hasreiter. "Und davor so lange wie möglich im Freien stehen lassen." Auch eine kalte Regendusche schade dem Baum nicht. Feuchtigkeit tut gut.

Damit die Freude lange anhält, sollten die Bäume beim Kauf ganz frisch geschnitten sein, empfiehlt der Verkäufer. Seine Pflanzen stammen aus dem niederbayerischen Vilshofen. Auch der Bund Naturschutz rät, Bäume aus der Region zu kaufen, am besten aus biologischem Anbau. "Fragen Sie beim Kauf nach: Woher kommen die Bäume? Wurden Pestizide und Herbizide eingesetzt?", sagt Christian Hierneis, Vorsitzender des Bund Naturschutz in München.

Wer will, kann auch selbst zur Axt greifen. Viele Waldbauern bieten Wanderungen an, bei denen die Kunden ihren Lieblingsbaum gleich selbst fällen und mitnehmen können. Dabei merken manche Stadtbewohner vielleicht, dass die Natur nicht ausschließlich perfekte Bäume liefert. "Es schafft nur jeder 200. Baum hierher", sagt Martin Wildmoser aus Wolfersdorf im Landkreis Freising, der seine Bäume auf dem Odeonsplatz verkauft. Dafür kostet seine Ware auch ein bisschen mehr als im Baumarkt. Sein Standard liegt bei etwa 60 Euro, man kann aber auch bis zu 200 Euro hinlegen. Ein Münchner Autohändler dagegen verramscht Christbäume in Werbeaktionen als "Weihnachtsdankeschön". Eine Nordmanntanne gibt's da schon für 15,90 Euro. Manche Supermärkte gehen sogar bis auf 13 Euro runter. Wildmoser macht sich diesen Preiskampf zunutze: In eine Reihe stellt er ein paar solcher günstigen Bäume, deren Preisschild Kunden anlockt. Aber besonders schön sind die Gewächse nicht. Die Strategie: "Wenn man ein paar greislige Bäume hat, fallen die schönen mehr auf. Das ist wie bei Menschen", sagt der Verkäufer und lacht.

Seit 40 Jahren verkauft seine Familie nun schon Christbäume am Odeonsplatz. "Der Platz hat Vor- und Nachteile. Parken kann hier keiner, dafür gibt's viel Laufkundschaft", sagt Wildmoser. Der große Trubel geht wohl nächstes Wochenende los. "Christbäume werden meistens in den letzten acht Tagen vor Weihnachten gekauft." Davor würden diejenigen zuschlagen, die über Weihnachten verreisen und den Baum schon im Advent aufstellen. "Am 24. Dezember kommen die, die sagen: Wenn's noch einen gibt, will ich ihn günstig. Wenn nicht, auch egal. Da verhandeln Frauen beim Preis wesentlich öfter als Männer", so Wildmosers Erfahrung.

Und wer den Christbaum nicht selbst auf- und abbauen will, der kann bei Steven Hämmerle anrufen. Der Christbaumhändler liefert den Baum direkt ins Wohnzimmer, baut ihn vor Weihnachten auf und nach den Feiertagen wieder ab. "Unsere Kunden sind Familien, Alleinstehende, Senioren, ganz unterschiedlich", sagt der 28-Jährige. Der Service sei beliebt. "Die Leute warten schon auf uns. Die Älteren freuen sich über unseren Besuch, bieten Plätzchen an und suchen das Gespräch."

Doch der Auftritt der Christbäume währt nur kurz. Ab Neujahr stapeln sie sich dann wieder an Sammelstellen und Wertstoffhöfen. "Voriges Jahr haben wir über 17 000 Christbäume eingesammelt", sagt Evi Thielmann vom Abfallwirtschaftsbetrieb München. Sie werden weiterverarbeitet und gehäckselt. Wem das zu verschwenderisch ist, der kann sich auch einen wiederverwertbaren Christbaum im Topf mieten. Die österreichische Firma "Greentree" verschickt die Bäume als Topfpflanzen und sammelt sie im neuen Jahr wieder ein. Für sie geht es dann zurück in die Natur, wo sie sich für den Einsatz im nächsten Jahr erholen können.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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