Die Isar-Türkin:Schuhplattler im 3er-BMW

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Immer diese Klischees. Dass die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, wissen wir doch alle. Sie sind grobe, simplifizierte Zerrbilder des Echten. Oder so. Oder nicht?

Von Deniz Aykanat

Türken tragen eine Hakennase, auch Adlernase genannt. Sie haben dichtes, tiefschwarzes Haar, das wie ein festgetackerter Teppich auf ihrem Haupt thront. Sie sind laut, sie tragen immer zwei Handys am Gürtel und fahren (grundsätzlich unangeschnallt) 3er-BMW. Sie haben einen Oberlippenbart und lieben Knoblauch.

Türkinnen haben ebenfalls einen Oberlippenbart. Dazu eine Monobraue. Sie haben dunkle bronzefarbene Haut. Außerdem tragen sie Kopftuch und einen Zentner Make-up im Gesicht. Sie sind grundsätzlich eifersüchtig, lassen sich von ihrem Freund die Handtasche tragen und werden schnell hysterisch. Sie lieben Kinder und kochen immer und überall. Sie sind abergläubisch. Soweit die Klischees.

Und dass die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, wissen wir doch alle. Sie sind grobe, simplifizierte Zerrbilder des Echten. Oder so.

Oder nicht?

Jedenfalls haben sie so eine durchschlagende Wirkmacht, dass selbst Türken manchmal Türken-Klischees aufsitzen: 1990, Promenade von Marmaris, einer damals aufstrebenden türkischen Touri-Stadt am Mittelmeer. Ich bin fünf Jahre alt, es sind Sommerferien - und ich flaniere, esse Eis und spiele bis zur Selbstauflösung (ich kann es mir heute beim besten Willen nicht mehr vorstellen, aber als Kind war einem in den Ferien ja tatsächlich irgendwann fad).

Mutter, Vater, Bruder und ich spazieren also mal wieder. . . Da bemerken wir, dass die Familie hinter uns auf Türkisch über uns spricht. Genauer gesagt: Sie sprechen über mich. "Schau mal, das kleine blonde Mädchen! Die ist so weiß, die ist ja schon durchsichtig!" "Hast du so was schon mal gesehen?" "Vielleicht sperren die Touristen ihre Kinder im Keller ein!" Hahaha! Huhuhu! Hihihi!

Abrupt bleibt mein Vater stehen, dreht sich zu ihnen um und sagt grinsend auf Türkisch: "Ach, wir wissen auch schon nicht mehr, was wir noch machen sollen. Wir legen sie jeden Tag in die Sonne, aber es passiert einfach nichts. Sie wird allerhöchstens rot."

Die türkische Familie erstarrt zur Salzsäule. Gestammel. Flucht.

Dabei wurde die Türkei von einem Typen gegründet, der nun wirklich nicht dem phänotypischen Klischee-Türken entspricht. Atatürk war mindestens aschblond. Mit seinen blauen Augen wäre er auch als Schwede durchgegangen.

Obwohl er selbst nicht ganz ins Bild passte, wollte der Vater der Türken trotzdem einen Prototyp-Türken kreieren. Der Sage nach ließ er in den Anfangsjahren der jungen Republik die Standardgröße eines perfekten türkischen Kopfes ermitteln. Daraus wurde dann ein Modell-Helm gefertigt: ein Helm, in den Atatürks eigener Quadratschädel nicht reinpasste. Das war das Ende der türkischen Schädel-Wissenschaft.

Apropos Quadratschädel. Klischees gibt es ja nicht nur über Türken, sondern auch über allerlei andere Gruppen, die der Mehrheitsbevölkerung irgendwie fremd sind. Halb Deutschland vermutet ja, dass Bayern von bräsigen, überheblichen Bierdimpfln bevölkert ist. (Danke, Horst und Franz Josef, für dieses Klischee.)

Meine Cousine, eine waschechte Berlinerin, denkt deshalb bis heute, dass ich im Sportunterricht Schuhplattler lernte und täglich im Dirndl in die Schule ging. Mit geflochtenen Zöpfen. Tat ich manchmal auch, aber nur, um nach dem Unterricht im Herbst nahtlos aufs Oktoberfest wechseln zu können. Zu meiner Verteidigung muss ich zudem sagen, dass damals noch nicht jeder Düsseldorfer in Tracht auf die Wiesn rannte. Dass in meinem Wortschatz Begriffe wie "gell", "ja, mei" und "Servus" vorkommen, brachte meine Cousine außerdem zu dem Schluss, ich würde schwersten bairischen Dialekt sprechen. Dabei wurden meine Eltern in Bayern schon mehrmals gefragt, ob sie mich in Hannover geklaut haben.

So, und jetzt kommen ein paar echte Wahrheiten: Mein Vater hat eine Adlernase, seinen Haarteppich habe ich geerbt, nur in blond. Er hat nur ein Handy, dafür hat meine Mutter drei. Keiner bei uns fährt 3er-BMW. Schuhplattler habe ich tatsächlich mal im Sportunterricht gelernt. Aber da war Sportfest und zur Auswahl gab es auch noch Sirtaki und Wrestling. Und auf die Wiesn geh ich jetzt grundsätzlich nur noch in Jeans. Ich will ja nicht aussehen wie eine Düsseldorferin.

In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. SZ-Redakteurin Deniz Aykanat trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut. Folge 8 unserer SZ-Serie, die alle zwei Wochen in der Dienstagsausgabe erscheint.

© SZ vom 25.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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