Der Schlüssel zur Bildung:Auf der Muttersprache aufbauen

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Claudia Maria Riehl ist davon überzeugt, dass polyglotte Schüler besser lernen

Interview Von Marco Wedig, München

Der Schlüssel zur Bildung ist die Sprache. Claudia Maria Riehl, Professorin an der Ludwig-Maximilian-Universität München, ist eine der profiliertesten deutschen Sprachwissenschaftlerinnen. Sie weiß, wie wichtig Deutschunterricht für Schüler mit Migrationshintergrund ist. Sie plädiert aber dafür, auch die Muttersprachen im Unterricht zu berücksichtigen.

SZ: In München gibt es immer mehr Menschen, die mehrsprachig aufwachsen. Welche Vorteile bringt das?

Claudia Maria Riehl: Mehrsprachige Menschen haben unter anderem eine höhere geistige Flexibilität. Das hängt damit zusammen, dass unterschiedliche Sprachen die Wirklichkeit unterschiedlich perspektivieren. Wenn ich zum Beispiel ausdrücken will, dass jemand mürrisch dreinschaut, sage ich: "Du siehst aus wie drei Tage Regenwetter". Auf Türkisch würde es heißen: "Sind deine Schiffe im Schwarzen Meer untergegangen?" Hierin spiegeln sich also unterschiedliche Aspekte der außersprachlichen Wirklichkeit. Zudem besitzen Mehrsprachige ein größeres Sprachrepertoire, was das Erlernen von weiteren Sprachen erleichtert, und sie verfügen über eine höhere interkulturelle Kompetenz.

Lässt sich dieser Vorteil auch bemessen?

Wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass die graue Materie in einer bestimmten Hirnregion bei Menschen, die mehr als eine Sprache beherrschen, verdichtet ist. Bei ihnen ist die sogenannte exekutive Kontrolle im Gehirn stärker ausgebildet, da sie die Fähigkeit besitzen, zwischen diesen Sprachen hin- und herzuschalten. Wird eine Sprache verwendet, muss die andere unterdrückt werden. Dies fördert die kognitiven Kontrollfunktionen, die auch auf andere Gebiete übertragen werden können.

Gilt das nur für junge Menschen oder auch für Erwachsene?

Der größte Zuwachs an grauer Materie ist tatsächlich bei Kindern zu beobachten. Je früher man eine Sprache lernt, desto besser. Zu den kognitiven Auswirkungen von Sprachlernprozessen bei Erwachsenen wurde noch nicht allzu viel geforscht, doch zeigt sich auch hier eine positive Auswirkung bei der Aufmerksamkeitskontrolle.

Welchen Einfluss hat die Muttersprache auf den Spracherwerb des Deutschen?

Die Kinder, die schon in ihrer Muttersprache lesen und schreiben gelernt haben, haben gelernt einen zusammenhängenden Text, zu schreiben. Sie wissen, wie eine Erzählung aufgebaut ist, wie man Spannung erzeugt und kennen sprachliche Mittel wie die direkte Rede. Auf diesem Wissen lässt sich aufbauen. Auch wenn das Deutsche zum Beispiel nicht mit dem Arabischen verwandt ist, lässt sich auf der Ebene der Textkompetenzen und kommunikativen Kompetenzen einiges übertragen.

In Bayern wurde der muttersprachliche Ergänzungsunterricht schrittweise abgeschafft zugunsten einer konzentrierten Deutschförderung - ein Fehler?

Ja. Wir müssen dieses Schubladendenken überwinden, diese Ideologie, die Sprachen als abgeschlossene Systeme betrachtet. Jede Förderung einer Sprachkompetenz fördert die Gesamtsprachkompetenz. Kinder, die ihre Muttersprache gut beherrschen, sind auch in der deutschen Sprache besser. . Zudem kann man im muttersprachlichen Ergänzungsunterricht besser auf spezifische Bedürfnisse eingehen.

Sollten an einem muttersprachlichen Ergänzungsunterricht auch deutsche Schüler teilnehmen?

Warum nicht? Die Muttersprachler könnten den neueinsteigenden Deutschen als Tutoren zur Seite stehen. Das hat auch wichtige psychologische Vorteile, zum Beispiel fördert es das Selbstbewusstsein. Die deutschen Schüler wiederum erlernen eine zusätzliche Sprache.

© SZ vom 23.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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