Denkmal enthüllt:Die Zeichen lesen

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Am Dienstagabend wurde das Denkmal für die von den Nationalsozialisten verfolgten Lesben und Schwulen enthüllt. Das Werk der Karlsruher Künstlerin Ulla von Brandenburg lenkt die Aufmerksamkeit subtil auf das Unrecht

Von Wolfgang Görl

Dies ist ein Zeichen, dass wir jede Form von Intoleranz ablehnen, ein Zeichen für eine bunte eine tolerante Stadtgesellschaft." Diesen Satz sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gegen Ende seiner Ansprache, mit der er am Dienstagabend das Denkmal für die von den Nationalsozialisten verfolgten Lesben und Schwulen seiner Bestimmung übergibt. Vor ihm stehen etwa 100 Mitglieder dieser bunten Stadtgesellschaft: Schwule, Lesben, Heteros und so weiter, es ist ein fröhlicher Festakt.

Foto: Robert Haas (Foto: N/A)

Und auf den ersten Blick macht ja auch das hier gefeierte Denkmal der Karlsruher Künstlerin Ulla von Brandenburg gute Laune: An der Ecke Dultstraße/Oberanger bedecken Betonplatten in den Farben des Regenbogens winkelförmig den Boden, es ist, als läge hier ein riesiges versteinertes Harlekinkostüm. Wer das bunte Plattenmosaik länger betrachtet, wird den rosa und den schwarzen Winkel wahrnehmen, die in zwei der Steine eingelassen sind. Was das alles zu bedeuten hat? Man muss sich schon ein wenig in der Geschichte des Nationalsozialismus auskennen, um die Zeichen zu deuten, man muss beispielsweise wissen, dass von 1933 bis 1945 im Deutschen Reich etwa 70 000 Männer wegen Homosexualität abgeurteilt wurden. Für viele hieß dies: zuerst Gefängnis, dann sogenannte Schutzhaft. Die meisten Schutzhäftlinge kamen in Konzentrationslager, wo sie einen aufgenähten rosa Winkel auf der Häftlingskleidung tragen mussten, der sie als Homosexuelle kennzeichnete. Mehr als die Hälfte der "Rosa-Winkel-Häftlinge" überlebte das KZ nicht. Auch lesbische Frauen wurden von den Nazis ausgegrenzt und drangsaliert, und wenngleich sie nicht so systematisch verfolgt wurden wie die schwulen Männer, taten sie gut daran, unbemerkt zu bleiben. Wer das weiß, sieht das fröhliche Mosaik mit anderen Augen. Die schwarzen und rosa Winkel stehen für die verfolgten Lesben und Schwulen, das Leid, das ihnen angetan wurde, und vielleicht auch für die Schmach, dass die Diskriminierung nach dem Krieg weiterging.

Für eine bunte Stadt und für die Ehe für alle plädierte OB Reiter vor dem neuen Denkmal. (Foto: Robert Haas)

"Es ist ein schwieriger Tag für mich", sagt Rosa-Liste-Stadtrat Thomas Niederbühl, der sich über viele Jahre hinweg für das Denkmal eingesetzt hat. Warum schwierig? "Weil das so ein toller Tag ist." Lange haben er und seine Mitstreiter aus der Community kämpfen müssen, bis auch dieses finstere Kapitel der Münchner Stadtgeschichte die Aufmerksamkeit bekam, die sie verdient. "Es ist eine verspätete Wiedergutmachung für die Opfer."

Der Platz des Bodenkunstwerks ist mit Bedacht gewählt. Dort, wo heute ein schicker Neubau steht, befand sich einst das Wirtshaus "Schwarzfischer", das ein beliebter Schwulentreff war. Am 20. Oktober 1934 stürmte die bayerische Polizei das Lokal und nahm die Gäste fest. Die Aktion war Teil einer Großrazzia, mit welcher die Nationalsozialisten die systematische Verfolgung Homosexueller durch Polizei, Gestapo und Justiz einleiteten. Allein in München waren an diesem Tag mehr als 50 Beamte im Einsatz, die Parkanlagen, Bedürfnisanstalten und Kneipen durchkämmten, um Schwule aufzuspüren. Mehrere hundert Personen nahm die Polizei in Gewahrsam.

Ulla von Brandenburg hat das Denkmal geschaffen. (Foto: Robert Haas)

Ja, sagt Reiter in seiner Rede, das Denkmal ist ein Signal, aber keineswegs eines, das nur der Erinnerung dient. "Es gibt keine Entwarnung", fügt er hinzu. Im Gegenteil, die brutale Attacke auf einen jungen Schwulen kürzlich im Glockenbachviertel habe gezeigt, dass derartige Feindseligkeiten wieder zunähmen. Auch deshalb gelte es, gegen "Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit Position zu beziehen".

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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