Debatte über das Wahlergebnis:"Christlich ist nicht dasselbe wie konservativ"

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Bei ihrer Herbstvollversammlung stellen sich die katholischen Laien im Erzbistum gegen einen politischen Rechtsruck

Von Jakob Wetzel, München

Nun haben wir den Salat, sagt Hans Tremmel. Über das Ergebnis der Bundestagswahl könne sich kaum einer freuen. Tremmel ist Vorsitzender des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum München und Freising, der höchsten Vertretung der katholischen Laien, und er macht sich Sorgen. Man könne sich durchaus die Frage stellen, wer einem diesen Rechtsruck eingebrockt habe, sagt er. Doch man dürfe nicht die falschen Schlüsse ziehen.

Am Samstagnachmittag hat Tremmel vor etwa 180 Delegierten auf der Vollversammlung des Diözesanrats im Münchner Jugendgästehaus Salesianum gesprochen; der Professor für Sozialethik hat dabei weder die CSU noch eine andere Partei beim Namen genannt, aber gewarnt: Nach dem Rechtsruck bei der Bundestagswahl dürfe man auf keinen Fall rechtsextreme Standpunkte und Parolen kopieren, um eine vermeintlich offene rechte Flanke zu schließen - denn das gehe nach hinten los. Papst Franziskus fordere zwar, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen, und das könne auch bedeuten, Kontakt zu Menschen am rechten Wählerspektrum zu suchen, sagte er. Aber damit sei nicht gemeint, "selber fremdenfeindliche und rassistische Parolen zu plärren, nur um Stimmen zu erhalten". Denn "wer den Rechtspopulisten und den frustrierten Protestwählern nach dem Mund redet, wird noch mehr Wähler an rechte Parteien verlieren".

Die Amtskirche in Person von Reinhard Marx, dem Erzbischof von München und Freising, weiß Tremmel hinter sich. Erst an diesem Samstag habe er einen Brief gelesen, in dem es hieß, die Kirche sei verantwortlich für den Erfolg der Rechten, denn sie verharmlose den Islam, erzählte der Kardinal, der auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist. "Wir haben keine naive Haltung zum Extremismus." Die Haltung der Kirche aber sei: "Jeder ist zuerst einmal ein Mensch." Es müsse möglich sein, als Menschen zusammenzuleben, denn die Alternative heiße Krieg. "Ich merke, dass die Angst der Leute größer wird. Aber wir dürfen nicht in die Falle gehen zu denken: Weil einer Muslim ist, darf er nicht hier sein. Denn wenn das passiert, dann Gnade Gott dieser Gesellschaft."

Der Stil der politischen Auseinandersetzungen bereite ihm überhaupt Sorge, sagte Marx: Die Sprache werde schärfer, die Spannungen auch in den Parteien nähmen zu. Vor der anstehenden bayerischen Landtagswahl hoffe er nun auf einen "anständigen Wahlkampf". Auch die Kirche werde ihre Positionen einbringen, sagte der Kardinal - und distanzierte sich implizit von den Unionsparteien: "Christlich ist nicht dasselbe wie konservativ", sagte er. Das Christliche stehe nicht nur für Traditionen, sondern auch für Veränderung: dafür, sich für Schwache einzusetzen, auch für Flüchtlinge. Schon in der Vergangenheit war die Kirche wegen der Flüchtlingspolitik wiederholt mit der CSU aneinandergeraten. Auch ein künftiges Zuwanderungsgesetz, wie es in den Koalitionsverhandlungen in Berlin Thema sei, werde man sich genau ansehen. "Zu sagen, wir holen die klügsten Köpfe, und die Armen bleiben zu Hause, das ist zu kurz gesprungen!", ruft Marx. "Das ist keine kohärente Entwicklungspolitik."

Widerspruch gegen Marx und Tremmel wird an diesem Samstag nicht laut, auch nicht von den Politikern im Diözesanrat. Im Gegenteil: Als der Kardinal erklärt, beim Familiennachzug von Flüchtlingen gehe es nicht darum, "dass alle kommen", sondern um die Flüchtlinge, die länger bleiben, "es ist doch nicht abzusehen, wann der Krieg in Syrien endet", und da gehe es um eine Frage der Menschlichkeit, da erhält er spontan Applaus.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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