Verhandlung vor dem Amtsgericht Dachau:Ein Unfall zerstört mehrere Leben

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Eine 19-Jährige fährt eine 68-jährige Radfahrerin an. Sie erliegt ihren schweren Verletzungen, ihr Mann und ihr Sohn müssen auf dem täglichen Arbeitsweg den Ort passieren. Die junge Frau leidet unter schweren Schuldgefühlen

Von Benjamin Emonts, Dachau/Markt Indersdorf

Es war ein Mittwochabend, der 17. August 2016, als sich in Markt Indersdorf ein schwerer Unfall ereignete. Eine 19-Jährige aus der Gemeinde Röhrmoos war damals mit ihrem Auto zu einer Freundin unterwegs. Auf der Maroldstraße in Markt Indersdorf überholte sie eine Radfahrerin. Die Straße, in die sie rechts abbiegen wollte, kam schneller als gedacht. Plötzlich krachte es. Sie sah die Pedelec-Fahrerin verletzt auf der Straße liegen und alarmierte den Rettungsdienst und ihre Eltern. Die 68-jährige Radfahrerin aus Markt Indersdorf wurde kurze Zeit später mit schweren Kopfverletzungen von einem Rettungshubschrauber ins Klinikum Augsburg gebracht. Dort starb sie am 30. August 2016.

Die Schilderungen der inzwischen 20-jährigen Unfallverursacherin gehen unter die Haut. Mehr als ein Jahr nach dem tragischen Vorfall muss sie sich wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Dachau verantworten und kämpft mit ihren Tränen. Die Frau selbst war nach dem Unfall so schwer unter Schock gestanden, dass sie in eine Klinik gebracht werden musste. Fast zwei Wochen später erfuhr sie, dass die Radfahrerin ihren Verletzungen erlegen war. Seither leidet sie unter schweren Schuldgefühlen und einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Ihre Schuld am Tod der Frau ist laut einem unfallanalytischen Gutachten nicht von der Hand zu weisen. Die damals 19-Jährige fuhr demnach auf der Maroldstraße in derselben Richtung wie die Pedelec-Fahrerin. Als sie mit ihrem Pkw rechts in Richtung Bräuhauskeller abbiegen wollte, erfasste sie die Frau mit dem rechten hinteren Radlauf ihres Wagens mit einer Geschwindigkeit zwischen 15 und 20 Kilometern pro Stunde. Die Radfahrerin war dem Gutachten zufolge noch etwas schneller unterwegs. Sie trug keinen Helm und prallte mit der linken Kopfseite auf den Asphalt. Im Moment des Abbiegens könnte sich die Radfahrerin für die junge Frau im toten Winkel oder hinter der C-Säule außerhalb des Sichtfelds befunden haben, heißt es in dem Gutachten. Doch der Verkehrsteilnehmer unterliegt einer Sorgfaltspflicht, er muss sicher gehen, dass es nicht zu einer Kollision kommen kann. "Für die Autofahrerin war der Unfall weg- und zeitmäßig vermeidbar", steht in dem Gutachten.

Die Frau aus Markt Indersdorf hatte keine Chance, den Zusammenprall zu vermeiden. Sie hinterlässt ihren Ehemann und einen Sohn, die dem Gerichtsprozess ferngeblieben sind. Der Indersdorfer Anwalt Jürgen Krüger vertritt sie als Nebenkläger. Er weist darauf hin, dass seine Mandanten den Unfallort mehrmals am Tag passieren müssten, um etwa zur Arbeit zu kommen. "Sie werden jeden Tag mit dem Unfall konfrontiert." Von Vorwürfen an die Angeklagte nimmt der Verteidiger dennoch Abstand. "Das ist der absolute Albtraum für jeden Autofahrer. Wer kennt solche Situationen nicht?" Hoch anzurechnen sei der Angeklagten, dass Schaden- und Schmerzensgeld "komplikationslos" gezahlt worden seien.

Schuldzuweisungen an die Radfahrerin, die keinen Helm getragen hatte, kamen für die Angeklagte nie in Frage. Die junge Auszubildende, das wird im Gerichtssaal deutlich, stellt sich ihrer Schuld anstatt nach Ausflüchten zu suchen. "Sie hat der Familie einen Schaden zugefügt, den sie selbst kaum aushalten kann", sagt ihre Anwältin. "Das Ereignis hat sie sehr geprägt in ihrer Entwicklung."

Der Dachauer Amtsrichter Daniel Dorner wendet Jugendstrafrecht an. Die Angeklagte muss nun 80 Sozialstunden leisten, drei Monate ihren Führerschein abgeben und ein Fahrsicherheitstraining absolvieren. Die größte Strafe sind ihre Schuldgefühle, die sie ohnehin noch lange begleiten werden. Als ihr der Richter das letzte Wort erteilt, bricht die junge Frau vor den Augen ihrer Eltern in Tränen aus. "Es tut mir aufrichtig leid, dass dieser Tag passiert ist. Ich wollte das alles nicht."

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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