SZ-Serie: Karlsfeld im Stau (Teil 5 und Schluss):"Ich habe eine Vision"

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Johann Willibald (CSU), designierter neuer Verkehrsreferent in Karlsfeld, träumt von einer Busschnellspur auf der Münchner Straße und will die Bürger überhaupt zum Umsteigen vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr bewegen. Dazu will er auch die Betriebe in die Pflicht nehmen

Interview von Gregor Schiegl

Basierend auf Verkehrszählungen, Haushaltsbefragungen und Bürgerworkshops hat das Ingenieurbüro Gevas, Humberg & Partner im Auftrag der Gemeinde Karlsfeld dreieinhalb Jahre lang einen Verkehrsentwicklungsplan erstellt. Ziel ist es, die hohe Belastung durch den Autoverkehr in den Griff zu bekommen. Initiiert hatte das Projekt Verkehrsreferent Bernd Wanka, der sich wegen beruflicher Belastung auf seine Funktion als CSU-Fraktionssprecher zurückziehen will. Die Umsetzung fällt seinem Nachfolger Johann Willibald zu. Willibald wirbt für eine Verkehrspolitik, die nicht länger auf das Auto fokussiert ist, sondern Anreize zur Nutzung des Nahverkehrs schafft.

SZ: Sie kandidieren als neuer Karlsfelder Verkehrsreferent.

Warum? Johann Willibald: Weil mich der Verkehr jeden Tag geärgert hat, wenn ich ins Büro gefahren bin. Für die 17 Kilometer nach München habe ich eine Stunde gebraucht. In mein Zweitbüro in Regensburg, das 120 Kilometer entfernt lag, war ich genauso lange unterwegs. Da habe ich mir gesagt: Irgendwas stimmt nicht. Ich habe den Eindruck, dass der Verkehr in den vergangenen zehn Jahren in Karlsfeld exorbitant gestiegen ist. Zuerst standen wir nur auf der Münchner Straße, jetzt staut es sich auch schon an der Bajuwarenstraße. Schleichwege, die früher nur Alt-Karlsfelder kannten, haben sich herumgesprochen. Sogar in der Bayernwerkstraße kommen mir Lastwagen entgegen, die sich da durchquetschen. Es ist einfach der Horror.

Sehen Sie die Verkehrsbelastung noch als lösbares Problem an oder geht es im Grunde nur noch um Schadensbegrenzung?

Ich möchte eine Lösung, bin aber überzeugt, dass man erst einmal nur Schadensbegrenzung betreiben kann. Wir haben jetzt einen guten Ansatz mit dem Verkehrsentwicklungsplan von Herrn Hessel, den mein Vorgänger Bernd Wanka eingeleitet hat. Jetzt muss man schauen, was man schnell umsetzen kann und was nicht.

Was hat für Sie Priorität?

Johann Willibald beobachtet die Verkehrsentwicklung an der Münchner Straße schon lange - und mit wachsender Sorge. (Foto: Niels P. Joergensen)

Eines der wichtigsten Vorhaben ist das Parkraumkonzept für die Neue Mitte, das muss ganz schnell passieren. Der zweite Schritt muss am Bahnhof stattfinden, auch da sind die Parkverhältnisse katastrophal.

Sind das nicht genau die Baustellen, die die Gemeinde durch investorenfreundliche Ortsplanung selbst verschuldet hat?

Stellplätze haben Sie immer zu wenige, egal, wie hoch der Schlüssel ist. Ich darf mich aber auch nicht über fehlende Parkplätze beschweren, wenn ich selber drei Autos auf die Straße stelle und nicht aufs eigene Grundstück, wo sie eigentlich hingehören. Und weil die Diskussion immer wieder auf das Einkaufszentrum "Karlsfelder Meile" kommt: Auch da kriegt man einen Parkplatz. Aber wenn man feststellt, dass der eine oder andere zwei oder gar drei Parkplätze braucht, weil er so schlampig drinsteht, muss man ihm auch mal ein Billett reinhängen und sagen, so geht's nicht.

Müssen sich die Karlsfelder jetzt auf mehr Strafzettel einrichten?

Das Parkraumkonzept, die 30er-Zone und Tempo 50 funktionieren nur dann, wenn es auch wirklich kontrolliert wird. Wir werden die Zahl der Stunden für die kommunale Verkehrsüberwachung noch einmal aufstocken, und da bitte ich heute schon um Nachsicht. Der eine oder andere wird furchtbar schimpfen, aber anders als über den Geldbeutel geht es leider nicht.

Seit 30 Jahren kämpft die Gemeinde für eine Untertunnelung der Münchner Straße. Im ersten Entwurf des neuen Bundesverkehrswegeplans tauchte das Projekt gar nicht auf. Wie sehen Sie die Chancen?

Wir hoffen, dass wir wenigstens einen Kurztunnel bekommen. Das ist natürlich eine Langzeitgeschichte, aber da darf man jetzt nicht locker lassen. Wenn wir in zehn Jahren 30 Prozent Bevölkerungszuwachs im Landkreis haben, bekommen wir an der Münchner Straße ein richtiges Horrorszenario, und so unwahrscheinlich ist das gar nicht. Alle Firmen, die wir in München haben, expandieren, das ist gut für die Wirtschaft. Zugleich müssen wir aber schon im Vorfeld alles versuchen, um die Pendlerströme durch gute Verkehrsanbindungen in die richtigen Bahnen zu lenken. Wir müssen wegkommen von den Pkws und die Leute zum Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel bewegen. Das muss das Ziel der Karlsfelder Kommunalpolitik sein.

Der Parkplatz im Einkaufszentrum "Karlsfelder Meile" ist gut ausgelastet, viele Kunden kommen mit dem Auto. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Ich habe eine Vision. Ich träume von einer Busschnellspur auf der Münchner Straße. Das wird sicherlich im ersten Jahr noch nicht funktionieren und auch nicht im zweiten, aber wenn die Leute mitkriegen, dass der Bus an ihnen vorbeirauscht, steigt ein Großteil irgendwann um. Die Münchner Straße dreispurig, zwei Spuren nach München rein mit Schnellbusspur, eine Spur raus - am Abend dreht man es um, das ist ein Modell, das andere Städte auch schon machen. Warum sollte man es nicht auch mal in Karlsfeld ausprobieren?

Wenn man sich die aktuelle Verkehrserhebungen anschaut, kommt heraus, dass Karlsfeld selbst noch immer eine sehr autoaffine Gemeinde ist. Warum ist das so?

Man muss den MVV in die Pflicht nehmen, wir brauchen eine zuverlässige S-Bahnverbindung und eine leistungsfähige Stammstrecke. Und wir brauchen unbedingt den Stich nach Feldmoching, damit man mit der U-Bahn weiterfahren kann. Das sind die Themen, die man anpacken muss, auch wenn es langfristige Themen sind. Und ich muss mit einem Schnellbussystem anfangen und nicht immer nur reden. Das ist das, was mich ärgert.

Müsste Karlsfeld nicht mal laut protestieren gegen die Ausweisung von Neubaugebieten im Hinterland? Die bescheren Ihnen ja einen Großteil des Verkehrs.

Je mehr wir im Landkreis wachsen, desto mehr Verkehr haben wir in Karlsfeld: Wir sind der Flaschenhals. Nur kann ich diese Entwicklung nicht aufhalten. Deswegen muss ich versuchen gegenzusteuern und schauen, dass wir auch die Neubürger relativ schnell zur Nutzung von Bus und Bahn bewegen. Dafür brauchen wir auch eine gerechtere Preispolitik im MVV. Mein Problem am Karlsfelder Bahnhof sind viele Dachauer, die nach Karlsfeld fahren, weil sie sich dann zwei Streifen sparen. Für manche ist das wirklich viel Geld. In München startet man jetzt gerade mit den Mietautos, eine ganz tolle Sache. Man zahlt nur, was man fährt. Das wäre auch was für Karlsfeld. Viele haben ein eigenes Fahrzeug, obwohl sie das kaum brauchen. Wenn ich mich mal mit einer Tasse Kaffee an die Münchner Straße setze und beobachte, wie viele Leute in der Früh allein im Auto sitzen - irre! Wieso kriegt eine große Firma wie MAN es nicht hin, Anreizsysteme zu schaffen, dass die Leute Fahrgemeinschaften bilden? Da muss man was machen, da muss man Gespräche führen.

Wer als Fußgänger oder Radfahrer die vierspurige Münchner Straße überquert, darf nicht trödeln. (Foto: Niels P. Joergensen)

Es haben doch schon Gespräche mit MAN-Vertretern stattgefunden?

Ja, aber da hat man sich nur beschwert, dass der Verkehr zu langsam fließt und dass die Probleme noch größer werden, wenn der Standort erweitert wird. Warum baut MAN große Parkhäuser statt Anreize für die Mitarbeiter zu schaffen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen? In Ballungsräumen kann ich auch in vielen Bereichen mit Heimarbeitsplätzen arbeiten. Auch das entlastet den Verkehr. Da müssen die Firmen auch mal umdenken.

Was Firmen tun und lassen, kann die Gemeinde nur schwer beeinflussen.

Es wird eine Herausforderung, aber ich versuche, auch mit Arbeitgebern und Betriebsräten zu reden und mit Gewerkschaften. Wir haben die gleichen Interessen, auch die Stadt München. Die ersticken genauso im Verkehr wie wir. Es geht nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Das muss auch im Landkreis funktionieren, ich muss mit den umliegenden Gemeinden gemeinsam ein vernünftiges Konzept entwickeln, sonst wird das nichts.

Sehen Sie schon echte Kooperationsbereitschaft im Landkreis oder herrscht doch noch die alte Kirchturmpolitik vor?

Man kriegt immer mehr Leute auf die Spur, ich habe da wirklich große Hoffnung. Von der Kirchturmpolitik müssen wir weg.

Mit wem klappt sie und mit wem nicht?

Jetzt auf bestimmte Leute zu zeigen und zu sagen, mit denen funktioniert es nicht, wäre unklug. Wenn man ganz neu in so ein Amt geht wie ich, sollte man die Leute nicht vor den Kopf stoßen.

Welche Rolle spielt der Radverkehr in der weiteren Verkehrsplanung?

Auch da brauchen wir Anreizsysteme. Wir haben tolle Radwege in Karlsfeld. Wieso schaffen wir es nicht, E-Mobilität mit Fahrrädern attraktiver zu machen? Da könnte man Stationen ausbauen mit allem drum und dran, das müsste man sich einfach mal trauen. Ich kenne genügend Karlsfelder, die mit dem Auto zu MAN fahren, im Sommer und Winter, und dann stehen sie im Stau. Es gibt Firmen, die E-Fahrräder mitfinanzieren, weil sie Probleme haben mit den Parkplätzen für ihre Mitarbeiter. Karlsfeld ist eine der wenigen Gemeinden, die in ihrer Stellplatzsatzung jetzt auch eine Regelung für Fahrräder untergebracht hat. Darauf bin ich sehr stolz.

Die CSU hat lange Widerstand dagegen geleistet.

Aber wir hatten den Mut nachzubessern. Das ist für mich ein wichtiges Zeichen an die Bevölkerung: Eine Entscheidung, die falsch getroffen wurde, korrigieren wir.

Über Workshops waren die Bürger direkt mit eingebunden. Was hat das gebracht?

Die Thementische waren gut besucht. Es kamen viele Rückmeldungen, an denen man gemerkt hat, was den einzelnen bewegt. Wir werden auch weiter mit den Thementischen arbeiten und mit ihnen die Prioritätenliste besprechen. Für mich muss die Politik näher an den Menschen. Den Slogan haben wir ja auch in der CSU.

Und was heißt das konkret?

Wenn man Bürgerbeteiligung fordert, muss man sie auch bis zum Schluss durchziehen, und sich nicht irgendwann ausklinken. Das muss ein Prozess sein, bei dem man sich immer wieder trifft, um die weiteren Schritte zu besprechen. Bei berechtigter Kritik müssen wir auch den Mut haben nachzujustieren. Das ist ein Thema, das mich an der großen Politik oft ärgert. Da ist man oft ganz starr und unbeweglich. Auf der kommunalen Ebene klappt das wesentlich besser.

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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