Reden wir über:Die Kirchen und die Nazis

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(Foto: Toni Heigl)

Björn Mensing erforscht den Umgang mit belasteten Pfarrern

Interview von Susanne Schröder/epd

Der Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau, Björn Mensing (), erläutert, wie und zu welchem Ziel er das neue Forschungsprojekt der bayerischen Landeskirche angehen will. Zwei Jahre lang wird der Kirchenrat in den Archiven nach Nazis fahnden, die nach Kriegsende als Pfarrer tätig waren. Eine schmerzhafte, aber notwendige Arbeit - deren Ausgang noch völlig offen ist. Mensing bleibt in dieser Zeit Pfarrer an der Versöhnungskirche.

Herr Mensing, warum startet die Landeskirche dieses neue Forschungsprojekt?

Björn Mensing: Auslöser war der Fall des Bamberger Pfarrers Alfred Schemmel. Er war SS-Offizier im Konzentrationslager Auschwitz, fälschte aber nach 1945 seinen Lebenslauf und wurde so Pfarrer der bayerischen Landeskirche. Erst durch Zeitungsrecherchen kam dieser Fall im Herbst 2017 ans Licht. Er ist so schockierend, dass die Kirchenleitung beschlossen hat, gründlich aufzuarbeiten, wie viele NS-belastete Kirchenmitarbeiter nach 1945 in Bayern tätig waren.

Welche Spuren verfolgen Sie bei dem Projekt?

Für meine Dissertation über "Pfarrer und Nationalsozialismus", die 1998 in erster Auflage erschien, habe ich 250 Personalakten von bayerischen Pfarrern ausgewertet, die Mitglieder der NSDAP waren - allerdings nur anonymisiert. Damals galt eine Sperrfrist von 50 Jahren nach dem Tod; nur in einem Fall war sie bereits abgelaufen. Diese Exzerpte kann ich jetzt neu auswerten, weil die Kirche ihre Sperrfrist dem staatlichen Archivrecht angepasst hat - sie beträgt nur noch zehn Jahre. Viele Querbezüge werden erst durch die Personalisierung der Fälle möglich. Außerdem werde ich die Gruppe der Pfarrer aus den osteuropäischen Ländern untersuchen, die nach dem Krieg in den bayerischen Kirchendienst übernommen wurden, so wie der Siebenbürger Sachse Alfred Schemmel. Diese sogenannten Volksdeutschen wurden während des Zweiten Weltkriegs fast durchgängig zur SS eingezogen. Meistens kämpften sie bei der Waffen-SS an der Front, aber die Übergänge zu den SS-Wachmannschaften in den Konzentrationslagern waren fließend. Die Personalunterlagen der SS sind im Bundesarchiv fast komplett erhalten. Gleicht man sie mit dem Personalstand der Landeskirche ab, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, auf weitere Pfarrer mit SS-Vergangenheit zu stoßen.

Was ist das Ziel des Projekts?

Neben der Zahl und den Namen der NS-belasteten Kirchenmitarbeiter geht es auch um die Frage, wie die Kirchenleitung damals mit den einzelnen Fällen umgegangen ist. Wir wissen, dass NS-Belastung in der Regel für die Verantwortlichen kein größeres Problem darstellte. Landesbischof Hans Meiser hat 1946 selbst angeklagte SS-Leute aus KZ-Wachmannschaften in Schutz genommen mit den Worten, viele von ihnen hätten "als Soldaten einfach Befehle auszuführen" gehabt.

Hans Meisers Wirken wird genau unter die Lupe genommen?

Ja, aber die neue Forschungsarbeit soll sich nicht auf Meiser allein fixieren. Stattdessen möchte ich auch die anderen Akteure in der Kirchenleitung in den Blick nehmen, zum Beispiel die Kirchenjuristen. Manche von ihnen waren vor 1945 im Staatsdienst und wurden nach Kriegsende einfach in den Kirchendienst übernommen. Das wurde noch gar nicht bearbeitet. Ich finde es wichtig, dass die Landeskirche diesen Teil ihrer Geschichte jetzt noch mal in aller Gründlichkeit aufarbeitet.

© SZ vom 31.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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