Mitten in Dachau:Luther und andere Kommerzartikel

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Es scheint, als befeuere der Herbst die Kommerzialisierung der Feiertage

Von Felix Wendler

Kürzlich entbrannte ein Streit darüber, ob eine Weihnachtskrippe schon im Oktober auf dem Dachauer Rathausbalkon hängen darf. In diesen bewegten Zeiten scheint nicht mal mehr der reguläre Jahresablauf gesichert zu sein. Die Empörung verlief ungefähr parallel zur alljährlich wiederkehrenden Diskussion um die Stollen und Lebkuchen im Supermarkt. Dieses Thema ist wohlbekannt als beliebter Einstieg vieler zwangloser Plaudereien, ähnlich dankbar wie das Wetter, mehrheitsfähig. Es herrscht ausnahmsweise Einigkeit. Niemand möchte Stollen im Oktober kaufen. Zumindest gibt es niemand zu.

Überhaupt, so wirkt es, befeuert der Herbst die Kommerzialisierung der Feiertage. Liegt es möglicherweise daran, dass sich Produkte in der dunklen Jahreszeit besser verkaufen lassen? Oktober, November und Dezember sind schließlich traditionell umsatzstarke Monate für Einzelhändler. Spätestens mit der Zeitumstellung beginnt demnach die Geschäftemacherei. Halloween zum Beispiel. Die amerikanische Variante des Events natürlich, kommerzialisiert par excellence, steht vor der Tür - mit all ihren Mitbringseln. Dazu gehören übrigens mehr als ein paar lustige Kürbisköpfe im Vorgarten. Auch über die importierten Trends und Unsitten lässt sich einfach wunderbar diskutieren. Vor einigen Jahren begannen die Kinder auch in Dachau, an Halloween die Nachbarschaft abzulaufen und Süßigkeiten zu fordern, die ihnen traditionell doch frühestens an Weihnachten zustehen. Im vergangenen Jahr waren es dann die Horrorclowns, die in ganz Bayern ihr Unwesen trieben. Boulevardmedien überschlugen sich, die Polizei warnte vor dem gefährlichen Trend, Bürger zeigten sich empört ob dieser, natürlich aus den USA stammenden Unsitte. Und in diesem Jahr? Keine Spur von Horrorclowns. Überhaupt ist Halloween wenig präsent in Dachau, hat man den Eindruck. Ein paar Kürbisfelder hier, eine vereinzelte Kostümparty da. Vielleicht liegt es am Reformationstag? Im Jubiläumsjahr scheint Luther die Horrorclowns aus den Köpfen verdrängt zu haben. Wer aber meint, der Reformator und sein Feiertag blieben von der Kommerzialisierung verschont, hat sicherlich noch nicht den Souvenirshop auf der Wartburg besucht.

So wird man in den Supermärkten wohl auch in den nächsten Jahren bereits im Oktober weihnachtliche Köstlichkeiten erwerben können. Und unzählige Touristen erfreuen sich weiter an Martin Luther-Badeenten und -Riesenbleistiften. In Dachau allerdings konnten die Widersacher der Kommerzialisierung einen Teilerfolg erringen - die unliebsame Weihnachtskrippe wurde vom Rathausbalkon entfernt. Vorerst.

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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