Mitten in Karlsfeld:Demokratie der Raser

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Die Münchner Straße scheint etwas an sich zu haben, das die Vernunft aussetzen lässt

Von Anna-Sophia Lang

BMW-Fahrer sind die größten Raser. Mit Pilotenbrille und Headset ausgerüstet sitzen sie lässig hinter dem Lenkrad, das sie mit dem linken Arm steuern, der noch lässiger auf der Ablage unter dem Fenster ruht. Sie sind die Coolsten, sie sind Macher, sie sind die Könige der Straße. Allein der Anblick der charakteristischen Scheinwerfer, die sich unaufhaltsam im Rückspiegel nähern, lösen in jedem Renault-, Ford- oder Toyota-Fahrer den Drang aus, möglichst zackig auf die rechte Spur zu wechseln. Nur Audi-Fahrer können ihnen das Wasser reichen. Könnte man meinen.

Die Münchner Straße in Karlsfeld belehrt alle Anhänger dieses Klischees eines besseren. Dort tummeln sich Raser jedweder Couleur und Automarke. Ein Mensch bei klarem Verstand könnte denken, ein Tempolimit von 60 Kilometer pro Stunde innerorts sei angebracht. Doch die Münchner Straße scheint etwas an sich zu haben, das die Vernunft aussetzen lässt. Dort herrscht Raser-Demokratie. Da rauscht ein Peugeot mit 80 Sachen vorbei, ein Smart klebt lichthupend am Kofferraum eines Transporters, der, Gott bewahre, die Geschwindigkeitsbegrenzung nur um zehn Kilometer pro Stunde überschreitet. Am weitesten verbreitet sind in jenem Kfz-Biotop allerdings die ganz Ungeduldigen. Sie bemühen gar nicht erst die Lichthupe herbei, sondern überholen einfach gleich rechts. Und schlängeln sich dann im Slalom durch die Blechlawine der Münchner Straße. Wer weder ein Münchner noch ein Dachauer Kennzeichen hat, der hat sowieso verloren. Diese Kandidaten gelten ob vermeintlicher, mangelnder Ortskenntnis als völlig fahrunfähig und müssen per se überholt werden. Am liebsten natürlich rechts.

Doch auf der Münchner Straße gibt es etwas, das den Rasern einen Strich durch die Rechnung macht. Ampeln. Urplötzlich springen sie auf Rot und zwingen die Eiligen, das zu tun, was sie am meisten fürchten: langsam zu machen. Besonders ärgerlich ist es natürlich, wenn auf der Nachbarspur plötzlich das Auto auftaucht, das sie vor einem halben Kilometer noch unter Einsatz halsbrecherischer Lenkmanöver überholt haben. So manch vorher Überholter kann sich dann ein vielsagendes Grinsen durchs Autofenster auf die andere Seite nicht verkneifen. Und sonnt sich für einen Moment in Schadenfreude. Bis die Ampel auf Gelb springt und das Spiel von vorne beginnt.

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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