Mitten in der S-Bahn:Hilferuf vom Abstellgleis

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Es kann schon mal passieren, dass ein Fahrgast versehentlich in einen Geisterzug steigt. Das ist aber kein Grund zur Panik

Von Benjamin Emonts

Wer kennt sie nicht, die S-Bahnen, die am Gleis zwar einfahren, auf denen aber in gelben Leuchtbuchstaben steht: "Nicht einsteigen." Das Seufzen unter den Wartenden ist jedes Mal groß, wenn die ohnehin schon verspätete S-Bahn scheinbar endlich ankommt, sich dann aber als Geisterzug entpuppt. Besonders fies ist aber, dass man in diese Züge einsteigen kann, wenn sie kurz halten. Und das passiert schon mal nach einem stressigen Arbeitstag. Meist hüpfen die Irrenden rasch wieder aus dem Zug, wenn sie festgestellt haben, dass sie ganz allein im Waggon sitzen. Aber nicht immer. Neulich vertiefte sich ein Fahrgast nach anstrengendem Arbeitstag sofort in seine Zeitung, sah und hörte nichts mehr. Erst als die Fahrt nach gefühlt 50 Metern ziemlich ruckelig wurde, erwachte der Verirrte aus seinen Gedanken. Die S-Bahn stand, eigentlich nichts Neues. Der hastige Blick aus dem Fenster aber schon: Der Zug stand auf dem Abstellgleis. Und der zweite hastige Blick: Das Abteil war menschenleer.

Nein, das ist kein schönes Gefühl, so ganz allein, irgendwo auf dem Abstellgleis. Was also tun, anstatt in Panik oder Platzangst zu verfallen? Man denkt an einen Menschen, der verplant genug ist, dass ihm dasselbe schon einmal passiert sein könnte. Er ist am Smartphone. "Das ist gar kein Stress", sagt er. Und er hat Recht. An den Türen befinden sich sogenannte Sprechstellen. Nachdem man den silbernen Knopf drückt, leuchtet eine rote Lampe mit dem Untertitel "Warten". Nichts. Erst nach dem zweiten Versuch erleuchtet endlich die grüne "Sprechen"-Lampe. "Ja hallo, ich bin hier im Zug auf dem Abstellgleis am Dachauer Bahnhof. Sonst ist keiner da." Endlich die rote "Hören"-Lampe: "Okay, ich komme sowieso gleich hinter. Dann schauen wir mal."

Schon nach fünf Minuten öffnet ein junger, freundlicher S-Bahn-Zugführer die Tür zum Abteil. Fast schon gelangweilt sagt er: "Das kommt öfter vor." Und: "Sie sind nicht der Erste." Über das Führerhaus geht es rückwärts zwei Stufen ins Gleisbett und weiter zur nächstgelegenen Straße, 500 Meter vom Dachauer Bahnhof entfernt. Dort fährt sofort die nächste S-Bahn - zum Glück nicht ins Nirgendwo.

© SZ vom 06.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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