Mitten in der S-Bahn:Einfach "Wow. Toll!"

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Wer in einem Fußballspiel vier Tore geschossen hat, der hat ein Sonderlob verdient. Mütter verlieren mit der Zeit aber offensichtlich die Fähigkeit, eine Leistung richtig einzuorodnen

Von Jan Schwenkenbecher

Lautstark verkündet der Bub seiner Mutter - und eigentlich auch allen anderen Fahrgästen -, er habe im Fußball-Spitzenspiel am Wochenende vier Tore geschossen. Vier! Wow! In der E-Jugend enden Spiele zwar öfters mal mit zweistelligem Abstand. Vier Treffer sind aber trotzdem eine Leistung und mindestens eine Ansage in der S-Bahn wert. Nicht schlecht, staunten also die Passagiere und blickten sogar von Smartphone und iPad auf und hinüber zum angehenden Retter des nationalmannschaftlichen Sturms. Die Begeisterung der Mutter hielt sich allerdings in Grenzen: "Wow. Toll", sagte sie.

"Wow. Toll." Das sagen Mütter ja eigentlich zu fast allem, was ihre Kinder so machen. Eine Zweiplus in Mathe ist genauso wowtoll, wie wenn der Bub das Abitur besteht. Schuhe binden können ist so wowtoll wie das Diplomzeugnis am Ende des Studiums. Auch vier Tore sind wowtoll. Aber auch zwei oder sechs wären es. Bei Babys ist das noch nicht so. Das erste Wort, der erste Pups, der erste Schritt - für Mütter weltbewegend. Doch irgendwann nimmt die Begeisterung ab. Zwar gibt es Ausnahme-Mütter, die sich wild gestikulierend Wochenende für Wochenende an der Seitenauslinie verausgaben. Zur zwölften Frau werden. Regelkonform ist das aber nicht. Die Regel nämlich ist, dass die Glaubwürdigkeit der mütterlichen Anerkennung Jahr um Jahr sinkt. Und zwar exponentiell: Am Anfang ist sie sehr hoch, nimmt dann sehr schnell ab.

Woran das liegt? Lässt sich schwer bestimmen. Vielleicht daran, dass die Mutter nie selbst auf dem Fußballplatz stand. Vier Tore? Kann ja mal passieren. Vielleicht aber auch daran, dass Kinder ja ständig neue Sachen machen. Niemals endend fordern die Kids: "Mama, guck mal. Mama, guck mal." Das zermürbt. Der Mutter fehlt irgendwann die Energie. "Irgendwas Neues? Wowtoll!" Der Junge in der S-Bahn hatte also die erste Schlacht im Krieg um die mütterliche Bewunderung verloren. Er schmiss sich jedoch prompt in die nächste. Fuchtelnd erzählte er von der letzten Voltigierstunde, stand sogar auf, um die gymnastischen Übungen vom Pferderücken nachzuturnen, hüpfte durch die Bahn, drehte sich im Kreis und vollendete die Kür mit einem perfekten Längsspagat. Und siehe da: Die Mutter blickte auf, sah den Jungen an. Etwas regte sich in ihr. Farbe, ja Emotionen stiegen ihr ins Gesicht. Und mit laut erhobener Stimme rief sie ihrem preisverdächtigem kleinen Buben zu: "Steh auf, die Hose wird dreckig."

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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