Mitten in Dachau:Im Ozean der Zeit

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Nichts gegen Weihnachten, Silvester oder Neujahr. Aber ist es nicht schön, wenn das Jahr wieder ganz normal von vorne los geht?

Von Wolfgang Schäl

Na, endlich ist jetzt wieder der Normalzustand eingetreten. Das Jahr geht wieder seinen Gang, die Geschenke sind umgetauscht, die Müllwagen haben die Verpackungshalden in sich hineingepresst und in ein paar Tagen werden auch die letzten zerfetzten Kracher von den Straßen gefegt sein. Die guten Wünsche sind ausgesprochen, die wohlmeinenden Ratschläge erteilt, die guten Vorsätze vergessen, das Gerippe von der Weihnachtsgans abgeknabbert. Chroniken und Rückblicke sind veröffentlicht und der nächste Geburtstag liegt noch Wochen entfernt.

Jetzt also richtet sich der Blick wieder nach vorn. Gibt es einen angenehmeren Zustand? Nun können wir behaglich mit beiden Beinen wieder hineinsteigen in den Ozean der Zeit, der sich schier endlos und friedlich vor uns ausbreitet. So viele Monate, die nicht nach Glühwein duften, nicht nach Lebkuchen schmecken. Es ist einfach nur Januar. Nur Januar. Die Tage werden wieder länger, schon bald brauchen wir kein Kerzlein mehr, um Licht in die Hütte zu bekommen. Und der Christbaum vor dem Dachauer Rathaus steht den Fußgängern nur noch ein paar Wochen lang im Weg, bald werden wir wieder unbehindert ins Amt gelangen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir sind diesem spektakulären Glitzerfest nicht feindselig gesinnt, es hat ja seine Reize, aber die sind nur begrenzt auszuhalten. Und nur einmal im Jahr. Jetzt aber bricht sie an, die wirklich stade Zeit, die der Advent immer für sich reklamiert.

Mit Wonne gehen wir alsbald ins Reisebüro, man muss sich ja immer Ziele setzen. Wir werden Kataloge wälzen, im Stau stehen, am Flughafen, zu Ostern, zu Pfingsten, im August, in den Herbstferien, bis das große Fernweh gestillt ist und wir wieder nach Einkehr suchen. Dann leuchten auch wieder die Kinderaugen, dann funkeln die Lichterketten, die bunten Raketen fahren in den Silvesterhimmel, und irgendwann werden wir auch dann wieder froh sein, dass alles vorbei ist und alles neu anfängt. Die Zeit ist wie ein Meer mit Ebbe und Flut, und wir, die wir am Ufer stehen, spüren, dass die Gezeiten immer gleich bleiben. Wir selbst sind es, die irgendwann anders werden. Im ungünstigsten Fall älter.

© SZ vom 04.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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