Internet-Kriminalität:Klick in den Ruin

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Stefan Reichenbächer ermittelt bei der Polizeiinspektion Dachau kriminelle Internetgeschäfte. Tendenz steigend. Er kann nur davor warnen, sich auf dubiose Verkaufsangebote oder scheinbar lukrative Nebenverdienste einzulassen.

Christine Heumann

Im Internet kann man sich gut verstecken: Die Kriminalität per Mausklick steigt rasant an - auch im Landkreis Dachau. (Foto: dpa)

Ein Mann träumt von einem Quad. Auf einer Kfz-Verkaufsplattform im Internet wird er fündig. 4000 Euro soll das gute Stück kosten. Ein gewisser Jo antwortet dem Interessenten. Auf Englisch. Das Quad stehe in England und werde per Schiff nach Deutschland gebracht. Verkäufer und Käufer einigen sich. Dann trifft eine Nachricht von Bob ein. Der Dachauer soll die 4000 Euro auf ein nordamerikanisches Konto eines asiatischen Kontoinhabers in Idaho überweisen. Er tut's. Das Geld ist weg - das Quad kommt nie. Der Mann ist auf Betrüger hereingefallen. Ein Fall von vielen, mit denen sich Stefan Reichenbächer fast täglich beschäftigt. Der 52-Jährige ist Sachbearbeiter für Internetkriminalität bei der Polizeiinspektion Dachau.

Reichenbächer sitzt in einem etwas karg und nüchtern eingerichteten Büro im ersten Stock des alten Polizeigebäudes in der Dr.- Höfler-Straße. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich die Akten. 500 Vorgänge hatte er 2012 zu bearbeiten, 2011 waren es fast genau so viele. Tendenz steigend. Seit fünf sechs Jahren schon. "Internetbetrug ist ein neues Gebiet zur Geldbeschaffung", sagt er. Eine neue Form der Kriminalität. "Der klassische Bankraub existiert heutzutage so gut wie nicht mehr", sagt der Polizeihauptmeister. Beim Internetbetrug ist das Risiko, erwischt zu werden, weitaus geringer. "Man braucht zwar mehr Hirn, mehr IT-Wissen, kann aber richtig Geld machen." Reichenbächer sagt, Polizei und Politik müssen sich neu positionieren, um Antworten zu geben. "Denn die Schäden sind immens."

Die Kriminalität per Mausklick steigt rasant an. Nach Angaben der Europäischen Union werden weltweit jeden Tag eine Million Menschen Opfer von Internetkriminalität. Der Schaden belaufe sich pro Jahr auf rund 290 Milliarden Euro. Seit Januar hat ein neues Zentrum zur Bekämpfung von Internetkriminalität seinen Betrieb in Den Haag aufgenommen. Beim bayerischen Landeskriminalamt gibt es seit 1995 eine eigene Dienststelle für die Recherche im Internet. Keine andere Kriminalität hat eine so große Zuwachsrate, in Bayern lag sie bei plus 19,2 Prozent von 2010 auf 2011.

Die Ermittlungen der Beamten gestalten sich oft schwierig. "Im Internet kann man sich sehr gut verstecken, das ist wie auf einer großen Spielwiese", sagt Reichenbächer. Eine Spielwiese, auf der es hinter großen Bäumen auch viele dunkle Ecken gibt. Er erzählt von sogenannten Finanzagenten, von Leuten, die sich leichtgläubig zu Komplizen von Betrügern machen lassen. Und das funktioniert beispielsweise so: Per Anzeige im Internet sucht ein ausländisches Unternehmen Lagerarbeiter im Großraum München. Interessenten rufen an, hören, dass sich die Eröffnung des Münchner Betriebs leider um ein halbes Jahr verzögert. Sie könnten sich aber schon jetzt etwas hinzuverdienen, denn das brandneue Produkt der Firma sei bereits zu erhalten. Deshalb brauche das Unternehmen jemanden, der ein Konto einrichtet und verwaltet. Der Polizeihauptmeister berichtet von einer Dachauerin, die so ein Angebot angenommen hat. Sie eröffnet das Konto. Innerhalb von nur 20 Tagen laufen 130 000 Euro auf. Wie vereinbart, gibt die Frau das Geld an ihren vermeintlichen Geschäftspartner weiter. Weil die Kohle aber aus kriminellen Machenschaften stammt, muss sie als Kontoinhaberin das Geld an die Geschädigten zurückzahlen. Und sie hat auch noch einen Strafvorwurf am Hals - wegen leichtfertiger Geldwäsche. "Diese Leute sind ruiniert", sagt Reichenbächer.

Betrügereien mit falschen Internetseiten, sogenannten Fake-Shops, beschäftigen ihn fast täglich. Ein Fake-Shop ist eine Internetseite, die auf den ersten Blick einer seriösen Einkaufsseite täuschend ähnlich sieht. In Wirklichkeit stecken aber Ganoven dahinter. Sie wollen nichts verkaufen. Sie wollen ihre potenziellen Opfer nur dazu bringen, Geld im Voraus zu überweisen - um dann damit zu verschwinden. "Das ist die beliebteste Masche." Aus einem einfachen Grund: "Die Leute sind viel zu leichtgläubig, viel zu unvorsichtig und achten einfach nicht auf sichere Bezahlformen." Ohne nachzudenken wird Geld an einen unbekannten Herrn Hans Müller überwiesen oder auf ausländische Konten transferiert. "Wenn ich Geld auf ein Auslandskonto überweisen soll, dann müssen doch sämtliche Alarmglocken läuten", sagt Reichenbächer. Tun sie aber oft nicht. "Stattdessen benehmen sich die Leute wie Autofahrer, die nie einen Führerschein gemacht haben. Sie glauben als Wüstenbewohner im Münchner Großstadtverkehr bestehen zu können. Prinzipiell können sie zwar Autofahren, sie kennen aber weder den Verkehr, noch Verkehrsregeln oder Verkehrszeichen."

Der Polizist erzählt von einer Frau, die für 400 Euro eine Waschmaschine bestellt und per Vorauskasse bezahlt hat. Die Ware bleibt aus. Als die Frau Anzeige erstattet, fragt Reichenbächer: "Jetzt sagen Sie mir doch mal, was so eine Maschine im Einzelhandel kostet?" 1200 Euro, antwortete die Betrogene. "Und da sind Sie nicht stutzig geworden?" 400 Euro zu verlieren erscheint vielleicht nicht allzu tragisch. "Wenn einer 2000 Euro verdient, ist das viel Geld", relativiert Reichenbächer.

Ganz eindringlich warnt er vor Nachrichten, die in schlechtem Deutsch verfasst sind. "Das weist auf kriminelle Absichten des Absenders hin, der ein Übersetzungsprogramm benutzt." So wie ein angebliches Ehepaar aus Schweden. Sie bieten auf einer Kfz-Plattform ihr Auto feil. Weil sie lange bei uns gelebt haben, soll der deutsche Wagen auch in Deutschland bleiben. Ein Interessent aus dem Landkreis springt an. Er kann auch auf ein Foto klicken, das ein sympathisches älteres Verkäuferpaar zeigt. Der Mann soll bei Western Union 6000 Euro einzahlen, den Beleg einscannen und nach Schweden mailen. Dann wird Nürnberg als Übergabeort des Wagens vereinbart. Der Dachauer ist mit den Modalitäten einverstanden - doch das Auto sieht er nie und sein Geld auch nicht mehr. Denn schon innerhalb der nächsten halben Stunde sind die 6000 Euro mit einem gefälschten Personalausweis abgehoben. "Western Union ist an sich eine tolle Sache", sagt Reichenbächer. Der US-amerikanischer Anbieter von weltweitem Bargeldtransfer eröffnet die Möglichkeit, schnell Geld rund um den Globus zu transferieren. In Deutschland wird sie hauptsächlich von Migranten genutzt, die hier leben und arbeiten, um Geld in ihr Heimatland zu schicken. "Auch wer beispielsweise hilflos mitten in Izmir feststeckt, weil die Handtasche mit allem drin geklaut worden ist, der bekommt über Western Union von zu Hause aus die schnellstmögliche Hilfe. Gegen Vorlage des Personalausweises wird das in Deutschland einbezahlte Geld ausgehändigt." Doch diese Bezahlform nutzen eben auch Kriminelle, zumal das System offenbar Mängel bei der Identitätsfeststellung offenbart.

Reichenbächer schwenkt über zum Kreditkartenbetrug. Bei einer Dachauer Bank wurden im vergangenen Jahr Kundendaten ausgelesen, um damit in Kolumbien Geld abzuheben. "Die Ermittlungsmöglichkeiten in solchen Fällen sind meist sehr mau", sagt er. Gauner entwickelten immer neue Methoden. "Es ist erschreckend, was da für eine Energie dahintersteckt. Wie groß die Spielwiese ist, auf der das Ganze abgeht." Zwei Heranwachsenden aus dem Landkreis, die mit abgegriffenen Kreditkarten Ware bestellen, kommt der Polizeihauptmeister allerdings auf die Schliche. Sie hatten Schaden in Höhe von mehreren Tausend Euro angerichtet.

Ein weiteres Betätigungsfeld Krimineller ist der Datenklau. Reichenbächer erzählt von einem 86-jährigen Rentner aus dem Landkreis, dessen Daten missbraucht wurden, um eine Versicherung, einen Vertrag mit einer Partnerschaftsvermittlung, mit einer Telefongesellschaft und ein Abo für eine Sonntagszeitung abzuschließen. "Diese Leute bekommen eine Rechnung nach der anderen, eine Mahnung nach der anderen und zuletzt folgen die Schreiben der Inkassobüros." Die Verträge werden zwar rückgängig gemacht, doch das Ganze ist für ältere Herrschaften eine Riesenaufregung."

Höllisch aufpassen muss man Reichenbächer zufolge auch bei E-Mails mit einem Anhang von großen, renommiert erscheinenden Firmen oder Behörden. Die Anhänge sind gefälscht, wer draufklickt, installiert sich selbst einen Trojaner - mit betrügerischer Absicht. Denn Schadsoftware, sagt der Polizeihauptmeister, sei von absoluten Spezialisten geschrieben. "Oft von Osteuropäern mit sehr guter IT-Ausbildung - aber sehr geringen Verdienstmöglichkeiten."

Gehackte E-Mail-Accounts oder gehackte Telefonanlagen bringen ebenfalls Scherereien. "Vor zwei Wochen ist in Dachau die Anlage einer Notrufnummer gehackt worden, in einer Nacht ist darüber für mehrere tausend Euro telefoniert worden, nach Osteuropa und Ozeanien - von Nordamerika aus."

Reichenbächer hat mit Opfern und Tätern zu tun. Letztere versucht er mit viel gutem Zureden zu bewegen, den Geschädigten ihr Geld zurückzugeben. "Dann zeigen sie dem Staatsanwalt wenigstens, dass sie gewillt sind, den Betrugsvorwurf auszuräumen." Geschädigte und andere leichtgläubige Personen kann er nur zu größerer Vorsicht ermahnen und er appelliert an ihre Eigenverantwortung. "Denn das Netz ist anonym. Und diese Anonymität wird gnadenlos benutzt und ausgenutzt. Und auch Dachau liegt mitten im weltweiten Netz - wir sind voll dabei. "

© SZ vom 12.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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