Faschingstreiben:"Wir wollen hier vor allem Spaß haben"

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Der Faschingsumzug in Dachau zieht 10 000 Besucher an. Trotz beißender Kälte und strenger Sicherheitsauflagen feiern die Narren ausgelassen. Und wie jedes Jahr gleicht die Altstadt am Ende einer Müllhalde, zahlreiche Betrunkene müssen ärztlich versorgt werden.

Andreas Baumer

Auf dem Weg vom Bahnhof Richtung Altstadt werden die ersten Biere geöffnet, Schlachtrufe angestimmt. Es ist 12 Uhr mittags, als bunt kostümierte Menschen in immer größerer Zahl aus den S-Bahnen aussteigen. Die Stimmung: prächtig.

Über Jahrzehnte hinweg hat sich der Dachauer Faschingsumzug zu einer Institution im Landkreis entwickelt. Auch an diesem Samstag zieht die Veranstaltung bis zu 10 000 Schaulustige an - trotz beißender Kälte und Temperaturen von minus zwei Grad. Rund um den Rathausplatz hängen Ballons in den Farben Schwarz-Rot-Gold, während die altehrwürdige Silber-Linde am Widerstandsplatz kreuz und quer von rot-weißen Warnstreifen umwickelt ist. Selbst der Treppenaufgang zur Sankt-Jakob-Kirche bleibt nicht verschont und wird früh von Feierwütigen besetzt.

Alt und Jung präsentieren die unterschiedlichsten Kostüme: Einfache Cowboyhüte und Hexenaccessoires sieht man ebenso oft wie Ganzkörperkostüme, bei denen vor allem Erdbeerverkleidungen und Eisbärfelle überwiegen. Ein Hingucker ist das Zigarettenschachtel-Kostüm inklusive Zigarettenstängel, in das sich ein Mann gezwängt hat. Auch Josef Mooseder sticht mit seinem Gewand heraus. Er hat sich für eine rote, lange Kutte mit goldenen Knöpfen und einen roten Hut entschieden, womit er offensichtlich einen Kardinal imitieren will. Soll das Gewand etwa als Spitze gegen den Kölner Erzbischof Joachim Meisner verstanden werden, der jüngst wegen seiner kontroversen Haltung zur "Pille danach" in die Schlagzeilen geraten war? Mooseder wiegelt ab. Er wolle niemanden an den Pranger stellen, sondern vor allem Spaß haben, merkt er lachend an. Das Gewand habe er schon vor der Debatte über das Internet erworben.

Der Hebertshausener ist nicht zum ersten Mal auf dem Umzug. "Ich gehe eigentlich jährlich hin", bekennt Josef Mooseder. Dasselbe gilt für Miriam Sendra und Benedikt Marzahn. Beide stehen direkt vor dem Rathaus, um das Treiben von zentraler Stelle aus verfolgen zu können. Der 27-jährige Marzahn hat sich im Stil Elvis Presleys verkleidet: Vom weißen Anzug über die Sonnenbrille bis hin zu den markanten Koteletten hat sich Marzahn streng an die Vorgaben des Originals gehalten. Die vier Jahre jüngere Sendra trägt ein Bienenkostüm. "Wir wollen hier vor allem Spaß haben", betonen beide einmütig. Alkohol darf da nicht fehlen. Wodka Orange und Malibu, regelkonform in Plastikflaschen abgefüllt, sollen dabei helfen, aus dem Umzug eine zünftige Gaudi zu machen. In der Tat gehören Schnapsflaschen, Klopfer und Bierflaschen auch in diesem Jahr wieder zum Standardrepertoire für viele junge Leute. Bereits bevor die ersten Wagen das Rathaus passiert haben, quillt der Wust aus weggeworfenen Plastikbechern und zerbrochenen Glasflaschen entlang der Umzugsstrecke an, wanken die ersten betrunkenen Narren durch die Straßen.

Dann geht es los: Den Anfang macht die Samba Caramba-Gruppe von der Stadtkapelle Dachau, die zumindest optisch brasilianischen Flair in das eiskalte Dachau bringt. Ihnen folgen Ioannis I. und Sandra I., das diesjährige Prinzenpaar der Faschingsgesellschaft Dachau. Und schon müht sich ein Faschingswagen hinter dem nächsten die Augsburger Straße hoch. Der TÜV-Süd, der sich wegen seiner strengen Auflagen bei vielen Wagenbauern unbeliebt gemacht hat, muss dabei viel Hohn und Spott einstecken. Aufschriften wie "Bis dass der TÜV uns scheidet" oder "Über Niederroth lacht die Sonne, und über den TÜV der ganze Landkreis" sind lediglich die Spitze des Sarkasmus-Eisberges. Aktuelle nationale oder gar internationale Themen werden hingegen selten thematisiert. Der Schützenverein "Frisch-Auf" aus Graßlfing wagt sich immerhin daran, Deutschland als fleißiges Bienchen zu charakterisieren, das für den Rest Europas den Zahlmeister macht. Dafür werden die Schützen später mit dem Sonderpreis des Faschingszug-Fördervereins Dachau ausgezeichnet.

Die "Biwifax Pfahofa" widmen sich dem wieder aufgeflammten Organspende-Skandal in deutschen Krankenhäusern, was ihnen den Preis für den originellsten Umzugswagen beschert. Der Großteil der insgesamt 38 Gruppen greift dagegen eher klassische Themen wie den Wilden Westen oder die Schlümpfe auf. Auch Dachaus Politikerriege bekommt ihr Fett weg: Vor einem angedeuteten Puppenspielerkabinett mit den aufgeklebten Gesichtern der Stadträte wird die Frage aufgeworfen, ob es denn die Herren nicht langsam im Rücken hätten vor lauter Nicken.

Gerade als ob man diese Aussage bekräftigen wolle, entscheidet sich eine siebenköpfige Jury, zusammengesetzt aus eben jenen Stadtratsmitgliedern und Oberbürgermeister Peter Bürgel, einstimmig für den Weblinger Wagen mit dem Thema "Mission Kleopatra" als schönste Attraktion des diesjährigen Umzugs. Der Weiberstammtisch aus Kammerberg, der ein reichlich verziertes Affenhaus zur Schau stellt, belegt den zweiten Platz, der Hippie-Wagen der Faschingsfreunde Eisenhofen wird Dritter.

Gegen 15.30 Uhr sind die Wagen am Rathaus vorbeigezogen. Die Menge nimmt nun den gesamten Rathausplatz in Besitz und geht zum ausgelassenen Feiern über. Schon jetzt gleicht die Augsburger Straße einer Müllhalde. Zerborstene Glasflaschen machen den Weg durch die feiernde Masse mitunter zu einem gefährlichen Unterfangen. Auch die Einsatzhelfer des Bayerischen Roten Kreuzes haben nun alle Hände voll zu tun. Schürf- und Platzwunden müssen behandelt, betrunkene Narren versorgt werden. Am Ende des Tages werden rund 30 Fälle gemeldet, etwa ein Drittel davon Alkoholvergiftete, die in die Amper-Klinik gebracht werden müssen. Zumindest größere Schlägereien bleiben den Tag über aus. Man könne mit dem Verlauf sehr zufrieden sein, sagen die Beamten der Polizeiinspektion Dachau.

© SZ vom 11.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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