Comicfestival München:Münchner Gespenstergeschichten

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Auf den Spuren von Hector Umbra: Der Zeichner Uli Oesterle stellt seinen neuen Bilderroman auf dem Comicfestival vor.

Nina Berendonk

Uli Oesterles Tür steht immer offen, zumindest, wenn er in seinem Arbeitszimmer in der Schwabinger Elisabethstraße sitzt. Drückt man auf den Klingelknopf unter dem Schild "Artillerie", öffnet sich die dunkle Holztüre sofort mit einem sanften Surren, später ebenso die im ersten Stock. Menschen mit durchschnittlichen Bruttogehältern kennen dieses Geräusch wie auch derart riesige Altbauwohnungen bestenfalls von ihrem jährlichen Zahnarztbesuch.

Sein Held trägt den Schatten im Namen: Hector Umbra begleitet den Zeichner Uli Oesterle seit acht Jahren durchs Leben - und diesmal durch München. (Foto: Foto: Uli Oesterle)

Oesterle, Anfang 40, kommt mit einer großen Hornbrille auf der Nase aus seinem Zimmer und führt dann erst mal stolz durch das 200Quadratmeter große Studio, wie er es nennt, öffnet Türe um Türe, hinter denen junge Männer an großen Mac-Computern sitzen und freundlich grüßen, und spart auch Küche und Toiletten - "wir haben sogar zwei!" - nicht aus. Zehn Graphiker, Illustratoren und Comic-Zeichner sind sie, die hier zusammen arbeiten und sich die Miete für ihre großzügige Arbeitsstätte teilen. Den Türöffner haben sie sich einbauen lassen, damit nicht ständig einer von seiner Arbeit aufstehen muss, um Besucher einzulassen.

Die kleine Galerie im Flur zeugt von Talent und Kreativität aller Artilleristen; den meisten Wirbel gibt es im Moment aber um Uli Oesterle. Im März ist sein in München spielender Comic "Hector Umbra" beim Carlsen-Verlag erschienen, am Freitag wird er ihn beim Comicfestival zum ersten Mal in seiner Heimatstadt präsentieren und dazu eine Ausstellung gestalten. "Ich habe gerade ziemlich viele Interviews", sagt Oesterle und grinst ein bisschen schief. Die Publicity freut ihn, gleichzeitig hat er unglaublich viel zu tun. Die Leinwand, die er den Festival-Machern bis Donnerstag versprochen hat, lehnt am Heizkörper seines Arbeitszimmers, die beiden Figuren darauf sind bislang nur grob umrissen - "die richtig auszumalen, braucht Zeit, da werde ich heute noch eine Weile sitzen."

Brotjobs neben der Kunst

Oesterle schaut hinüber zu seinem Computer-Bildschirm, neben dem ein mit schwarzem Filzstift beschriebenes Blatt Papier liegt: "Morgen zu tun" hat er tags zuvor in Versalien darauf geschrieben; von den folgenden zehn Punkten sind jetzt, am mittleren Nachmittag, höchstens ein Drittel durchgestrichen. Von den Comics allein, die er seit Mitte der neunziger Jahre zeichnet, kann der ausgebildete Graphiker nicht leben - dazu braucht er seine Jobs, Illustrationen für Zeitschriften und Theater-Spielpläne, das Entwerfen von Logos und kleiner Figuren, die zum Beispiel Werbe-Comics großer Autohersteller bevölkern, "Character Design" heißt das unter Profis.

Weil er sich nur hier und da Zeit abknapsen, höchstens zwei Wochen am Stück daran arbeiten konnte, begleitet ihn sein kaputter Protagonist Hector Umbra nun schon seit acht Jahren. Damals begann Oesterle, für einen kleinen Comic-Verlag den ersten Teil der Geschichte zu zeichnen, in der sich Hector auf die Suche macht nach seinem unter mysteriösen Umständen verschwundenen Freund, den japanischen DJ Osaka. Hector ist ein vom Leben angeschossener, düsterer Anti-Held, der zu viel trinkt und wie unter Zwang seine unheimlichen "Gehirnbilder" (Oesterle) malt - trotzdem scheint es den Künstler nicht zu stören, ihn nun schon so lang in seinem Leben zu haben. "In Hector steckt viel von meinem Leben und ein paar meiner Eigenschaften." Wie Hector hat auch Oesterle einen engen Freund verloren, dem er mit seinem Buch "ein Denkmal" setzen will.

Geleckte Stadt

Er nennt die fiebrigen Hetzjagden durch eine sehr gut erkennbare und doch durch Farben und Strich unheimlich verfremdete Stadt fast liebevoll eine "Münchner Gespenstergeschichte" und will auch alle seine zukünftigen graphic novels hier spielen lassen. Er findet es "einfach glaubhafter", wenn sich ein Autor am Handlungsort seiner Geschichte auskennt. "Außerdem ist die Recherche viel einfacher: Wenn es nötig ist, gehe ich einfach hin und knipse das Rathaus." Und, fast noch wichtiger: "Haarsträubende Dinge kommen viel besser rüber in einem real existierenden Ort - gerade in dieser sauberen und geleckten Stadt."

Dass das München in Oesterles cineastisch anmutenden, detailreichen Bilderbögen finster und morbide ist und die Abgründe seiner Figuren widerspiegelt, macht einen großen Teil ihrer Faszination aus. Um so mehr, wenn der Zeichner beginnt, mit großer Lust klaffende Löcher in die prächtigen Fassaden zu schlagen. Oesterle, der schon als Kind davon träumte, Trickfilme zu zeichnen, bekommt noch heute leuchtende Augen, wenn er davon spricht, warum er Comics so liebt: "Du hast keinen, der dir in deine Geschichte reinpfuscht. Und: Du kannst tausend Gebäude einstürzen lassen, ohne auf die Produktionskosten zu schauen." Kawumm!

Comic-Festival München, 11. bis 14.Juni, Programm unter www.comicfestival.de, siehe auch SZ Extra.

© SZ vom 10.06.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Daniel Wüllner
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