Christian Thielemann:Der Solitär geht

Lesezeit: 4 min

Die Vertragsverhandlungen sind gescheitert: Generalmusikdirektor Christian Thielemann wird München verlassen. Er beherrschte den unkünstlerischen Job des Musikermöglichers nicht ausreichend.

Reinhard Brembeck

Die Verhandlungen über die Vertragsverlängerung zwischen Dirigent Christian Thielemann und der Stadt München sind gescheitert. Denn Thielemann hatte einen nach zähen Verhandlungen ausgefertigten Vertragsentwurf nicht unterzeichnet, sondern erneut Nachforderungen gestellt, die für die Stadt offenbar nicht hinnehmbar sind. Wie groß der Unmut über den Dirigenten in der Stadt ist, kann man daran erkennen, dass dieser sensationelle Plenarbeschluss mit nur einer Gegenstimme gefallen ist.

In der Pressemitteilung des Kulturreferats heißt es ganz lapidar: "Die Vollversammlung des Stadtrates der Landeshauptstadt München hat in ihrer heutigen nichtöffentlichen Sitzung beschlossen, den Vertrag mit dem Generalmusikdirektor Christian Thielemann über die Saison 2010/2011 hinaus nicht zu verlängern.

Christian Thielemann hat den ihm angebotenen Vertragsentwurf nicht akzeptiert, der den Münchner Philharmonikern mehr Handlungsspielraum ermöglicht in Bezug auf Gastspiele, Solisten und Programme, die nicht die des GMD betreffen."

Und dann wird Kulturreferent Hans-Georg Küppers zitiert: "Ich bedaure, dass die Notwendigkeit dieses sowohl zukunfts- als auch handlungsfähigen Vertragsmodells von Herrn Thielemann nicht akzeptiert wurde. Ich hoffe jedoch, dass wir bis zum Jahr 2011 auf gute und professionelle Weise weiter zusammen arbeiten können."

Thielemann, der derzeit in Bayreuth probt, war zu keiner Stellungsnahme bereit. Im Interview mit dieser Zeitung brachte er aber seine zentrale Forderung auf den Punkt. Er möchte, wie bisher, die alleinige Entscheidungsgewalt über Programmatik, Gastdirigenten, Solisten. Das ist das gute Recht eines Generalmusikdirektors. Dass ihn die Stadt ausgerechnet in diesem zentralen Punkt beschneiden will, dass sie ihm bloß mehr die Hoheit über seine eigenen Konzerte zugestehen möchte, den Rest aber in die Hoheit des Intendanten gibt, das ist ein überdeutliches Misstrauensvotum gegen Thielemann.

Damit signalisiert die Stadt, dass Thielemann die Erwartungen, die an ihn als Generalmusikdirektor (ein im preußischen Berlin erfundener Titel) gestellt werden, nur unzureichend erfüllt hat.

Wobei zwischen dem Dirigenten und dem Generalmusikdirektor unterschieden werden muss. Als Dirigent ist Thielemann unbestritten Weltklasse. Vor allem sein Wagner ist konkurrenzlos, gesegnet auch seine Aufführungen vor allem der deutschen Romantik. Aber ein überragender Dirigent macht noch keinen guten Generalmusikdirektor. Der muss seine Defizite in Repertoire und Auffassungen durch satisfaktionsfähige Kollegen ausgleichen, jenseits der Musik Übervater sein, ständig präsente Identifikationsfigur. In dieser Hinsicht scheint die Stadt mit ihrem Musikchef unzufrieden.

Wer Thielemann sagt, müsste München meinen. So weit aber ist es nie gekommen. Wer heute Thielemann sagt, denkt erst an Bayreuth, dann an des Dirigenten Engagement bei den Wiener Philharmonikern (sämtliche Beethoven-Symphonien!) und zuletzt an München. Andere Musiker sind mit ihren Städten enger zusammengewachsen: Simon Rattle und Berlin, Kent Nagano und München, sogar Riccardo Chailly und Leipzig.

Die Städte aber, die mit einem nicht unerheblichen Teil ihrer Steuergelder Orchester unterhalten, legen genau auf diese Identifikation zunehmend Wert. Das ist anders als noch vor 20, 30 Jahren - was einerseits der finanziell zunehmend prekären Lage der Städte geschuldet ist, andererseits den härter werdenden Konkurrenzkampf zwischen den Kommunen reflektiert, die alles von der Olympiabewerbung bis hin zum Generalmusikdirektor als Standortvorteil aktivieren.

Der Individualist Thielemann aber ist in solche Kalküle nicht einzubinden. Er ist ein großer Dirigent, weil er ganz eigene, neue Wege geht, die wenig mit der Tradition und noch weniger mit dem Tun seiner Kollegen zu tun haben. Thielemann ist ein Solitär, der wohl Mühe hat, andere Haltungen zu akzeptieren. Genau das aber macht es für ihn schwer, in einer zunehmend pragmatischen Welt zu bestehen, die das reine Funktionieren über geniale Höhenflüge stellt.

Viele seiner Kollegen sind in dieser Hinsicht pragmatischer, umgänglicher, bessere Team Player. Sie beherrschen somit den unkünstlerischen Job des Musikermöglichers, des Managers, sie vermögen von ihrem Dirigententum zu abstrahieren, sie können Anderes, ihnen Fremdes zulassen und sind aufgeschlossen für die Managementnotwendigkeiten eines als Wirtschaftsunternehmen aufgestellten Klangkörpers.

Aura des Standardrepertoires

Dem nicht sehr diplomatischen Thielemann fällt das nicht ganz so leicht, das wurde schon früher immer wieder deutlich. Thielemann ist letztlich davon überzeugt, dass es genügen muss, das "Standardrepertoire" auf hohem bis höchstem Niveau zu dirigieren. Das aber ist ein atavistischer Ansatz, der den heutigen Gegebenheiten öffentlich subventionierter Orchester nicht mehr gerecht wird.

Aus all diesen Gründen ist es so logisch wie bedauerlich, dass sich München und Thielemann nicht aus künstlerischen, sondern aus verwaltungstechnischen Gründen voneinander trennen. Die Zukunft aber, darüber muss sich der Stadtrat im Klaren sein, wird hart werden. Nicht ausgeschlossen, dass Thielemann jetzt sofort von seinem Posten zurücktritt, weil er das Vertrauensverhältnis zu Stadt und Orchester als völlig zerstört empfindet.

Doch selbst wenn er bleibt, wird sich die Zusammenarbeit zwischen ihm und Intendant Paul Müller noch viel schwieriger gestalten als bisher. Muss doch in Anwesenheit Thielemanns, der nicht freiwillig geht, ein Nachfolger gefunden werden - eine heikle Mission.

Nach der Satzung steht dem Orchester ein Vorschlagsrecht für den neuen Chef zu, dem der Stadtrat de facto folgen muss. Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten: Man optiert für einen bekannten Namen, man plädiert für einen Geheimtipp, oder man lässt sich auf das Wagnis mit einem viel versprechenden Newcomer ein. Möglichkeit Eins wurde mit James Levine und Christian Thielemann ausprobiert und führte zu gemischten Ergebnissen. Möglichkeit Zwei galt für das Erfolgsmodell Sergiu Celibidache, und für Möglichkeit Drei gibt es relativ wenig prominente Beispiele - etwa die New Yorker Philharmoniker, die aber erst im Herbst mit Alan Gilbert diesen Weg ins Unbekannte einschlagen.

Die Philharmoniker werden bei dieser Grundsatzentscheidung vermutlich Kulturreferent, Stadtrat und Oberbürgermeister einzubeziehen und vielleicht sogar eine Ideenfindungskommission beauftragen. Auf jeden Fall aber wird das Orchester jetzt sehr viel stärker in die Eigenverantwortung genommen und muss deshalb einen Kandidaten präsentieren, der sowohl die Belange der Kunst als auch die Repräsentationsbedürfnisse der Stadt unter einen Hut zu bringen versteht.

Keine leichte Aufgabe - aber vielleicht springt der durchaus impulsive Thielemann jetzt doch noch über seinen Schatten und akzeptiert den ausgehandelten Vertrag. Es könnte sich für beide Seiten lohnen.

© SZ vom 23.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: