Bundesamt forciert Abschiebung von Flüchtlingen in Bayern:Afghanistan - ein ganz besonderer Hort der Sicherheit

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SZ-Zeichnung: Dieter Hanitzsch (Foto: N/A)

SZ-Leser kritisieren, dass auf die Willkommenskultur nun eine harte Linie folgt, welche die Risiken in Herkunftsländern zynisch kleinredet

"Wie ein Schlag ins Gesicht" vom 17. Januar und Leserbriefe "Gnadenloser Zynismus" vom 19. Januar:

Macht misstrauisch

Viele tausend Menschen sind also vor Terror und Krieg zu uns geflohen. Zu Recht. Nicht alle wurden oder konnten registriert werden. Logistisch hat man das einfach nicht geschafft. Mei, meint man, das war nicht leicht. Leichter ist es, genau das dann als Staatsregierung anzuprangern: Es wurde nicht ordentlich registriert! Keiner im Land war dagegen zu registrieren. Also, wem gilt der Vorwurf? Sich selbst?

Jetzt willkürlich Afghanen, die zum Großteil sehr gut integriert sind, nach Afghanistan auszufliegen - in ein Land, das sicher eines nicht ist, nämlich sicher -, ist schäbig und widerspricht dem Grundrecht auf Asyl und der Genfer Flüchtlingskonvention. Zum Beispiel Ahmad Pouya, ein Opernsänger, der fünf Sprachen/Dialekte spricht, der der bayerischen Polizei als Übersetzer zuarbeitet, der nicht straffällig war - er soll auch zurück. Trotz bestmöglicher Integration. Hysterisch versucht die Staatsregierung, Sicherheit und Ordnung zu demonstrieren, und verlässt in diesem Fall schon mal in Spurenelementen das Grundgesetz. Dass alle Leute, die sich ehrenamtlich für Integration und für gelebte Nächstenliebe engagieren, dadurch auch diskreditiert werden, schert die Aktivisten der bayerischen Staatsregierung nicht. Leute aus Afghanistan, die sich hier nichts zuschulden kommen ließen, dürfen nicht dahin zurückgeführt werden, wo sie verfolgt wurden und werden. Für Leute, wurscht woher, die sich strafbar gemacht haben oder als Gefährder gelten, gibt es Gerichte. Ohnmacht und Aktionismus essen Hirn auf. Humanitär vorbildlich wäre es, mit den leeren Kabul-Flugzeugen nach Belgrad, das neuerdings in Europa liegt, zu fliegen und dort Geflüchtete, die bei minus 20 Grad im Freien fast erfrieren, einzufliegen, sie natürlich zu registrieren und, was am wesentlichsten ist: ihnen das Leben zu retten. Platz wär da! Das wär eine Meldung der Menschlichkeit. Till Hofmann, München

Menschenverachtender Bescheid

Meine Frau und ich betreuen zwei junge afghanische Flüchtlinge, beide Schiiten, also in ihrem Herkunftsland besonders gefährdet. Nun hat der eine einen Ablehnungsbescheid bekommen; der Bescheid für den anderen wird sicher im gleichen Sinn demnächst folgen. Der Ablehnungsbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BaMF) macht einen fassungslos! Er ist unglaublich zynisch und menschenverachtend, wenn er feststellt: "In allen Teilen Afghanistans herrscht ein unterschiedlich stark ausgeprägter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban sowie anderen oppositionellen Gruppen. Für keine der afghanischen Provinzen kann jedoch generell ein Gefährdungsgrad für Zivilpersonen angenommen werden, der die Feststellung einer erheblichen individuellen Gefahr allein auf Grund einer Rückkehr in das Herkunftsgebiet und Anwesenheit dort rechtfertigt." Dann wird der Anstieg der (offiziellen) zivilen Opferzahlen beschrieben (von 10 548 im Jahr 2014 auf 11 002 im Jahr 2015), aber: "Angesichts dieser Erkenntnisse blieb das Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu werden, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt. Selbst wenn man von 20 000 Opfern ausgeht, lag bei einer Einwohnerzahl von 27 Millionen die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, im Jahr 2015 bei 0,074 Prozent."

Man reibt sich die Augen und fragt sich, warum die Politik sich über die bisherigen terroristischen Akte in Deutschland so aufregt: Bei mehr als 80 Millionen Einwohnern Deutschlands ist die "Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden", bei den Deutschen doch offenbar noch weit niedriger als in Afghanistan!?

Dann wird die Situation in Afghanistan ausführlich geschildert: Die Milizen der lokalen Machthaber, die Tatsache, dass die Sicherheitslage weiterhin angespannt ist, und dass "Gebiete im Süden, Südosten und Osten am stärksten betroffen" sind. Das sind die Gebiete, in denen Schiiten leben, und die ganz besonders von Angriffen der Taliban bedroht sind - wie auch die Gefahr besteht, als junge Männer von lokalen Warlords oder anderen Gruppen zum Militär gepresst zu werden. Im Klartext: Die Bundesrepublik, die ihr eigenes Konsulat nicht schützen kann, produziert durch die Abschiebungen genau jene Kräfte, die dann gegen die Regierungstruppen und die Bundeswehrsoldaten kämpfen. Alles kein Problem: Wir schieben alle ab, im Wettbewerb der Bundesländer, in ein "sicheres" Herkunftsland. Über die Folgen wundern wir uns dann später, nach der Bundestagswahl. Dr. Ulrich Scheinhammer-Schmid, Neu-Ulm

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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