Buch und Ausstellung:Die Kraft des Voodoo

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Die Münchner Fotografin Ann-Christine Woehrl hat die Anhänger der blutrünstigen Opferzeremonien in Benin porträtiert. Jetzt sind ihre faszinierenden und zugleich schaurigen Voodoo-Bilder in München zu sehen.

Melissa Strauch

So schnell wird sie den jungen Mann nicht vergessen, der vor ihren Augen zusammensackte. Regungslos lag er im Sand und stierte gen Himmel. Plötzlich sprang er auf, und schüttete sich eine goldgelbe Mixtur aus Maismehl über den Kopf - sie lief ihm in den Mund, trocknete auf seiner dunklen Haut. Wie wild drückte Ann-Christine Woehrl auf den Auslöser ihrer Kamera, während der Mann über den Marktplatz tanzte. "Sein Körper wurde wohl von dem Kriegsgott Koukou gesteuert", sagt die Fotografin. Nichts Ungewöhnliches in Benin.

Tanz in Trance: Ein Gemisch aus Palmöl, Maismehl und Kräutern stärkt diese Vondunsi bei der Kontaktaufnahme mit den Göttern. (Foto: Ann-Christine Woehrl)

Der kleine, westafrikanische Staat wird auch "Wiege des Voodoo" genannt - eine Religion, die in Europa wegen ihrer teils blutrünstigen Opferzeremonien oft als barbarischer Kult verteufelt wird. Das Blut der Tiere ist von sakraler Bedeutung: In ihm steckt die Seele der Götter und Ahnen.

Zusammen mit der Autorin Laura Salm-Reifferscheidt hat die Münchner Fotografin Ann-Christine Woehrl einen Bildband über den okkulten Alltag der Afrikaner veröffentlicht. "Voodoo. Leben mit Göttern und Heilern in Benin" heißt das Werk der beiden Frauen, das mit eindringlichen Fotografien und ausführlichen Texten den Lesern die Berührungsängste mit der fremden Religion nehmen soll.

Jeder Schritt der Beniner ist von dem Glauben an überirdische Kräfte bestimmt. Woehrl begleitete die Gläubigen bei ihrer täglichen Arbeit und porträtierte Medizinmänner in ihrer Kräuterapotheke, lichtete traditionelle Rituale und Zeremonien ab, Voodoo-Klöster und Schreine. Der Legende nach hat König Agadja von Dahomy den Voodoo-Kult im 18. Jahrhundert in Benin etabliert. Als die Welt im Chaos versank, bat er die Götter um Hilfe. Bevor diese sich aber um die Probleme der Menschen kümmern konnten, musste Agadja ihnen Opfer bringen. Je nach Vorliebe wird jedem Gott ein anderes dargebracht.

Zugegeben, Faszination und Abneigung liegen eng beieinander, wenn man die rund 170 Seiten des Buches durchblättert: Zu sehen, wie sich ein Vodunsi (so wird der Gläubige in der Landessprache genannt) bei einer Opferzeremonie derart im blutigen Hals einer Ziege verbeißt, dass deren starre Augen hervorquellen, ist zuerst einmal erschreckend.

"Ich bin eine ewig Suchende"

"In meiner Fotografie geht es darum, Realitäten an anderen Orten zu zeigen, vor denen man gerne mal die Augen verschließt", erklärt Ann-Christine Woehrl, "als Fotografin bin ich immer auch Botschafterin". Zur Zeit des Kosovokrieges, 1999, porträtierte die Münchnerin albanische Flüchtlinge. Zehn Jahre später besuchte sie ein Frauengefängnis in Bogotá, Kolumbien. Woehrl war unter anderem in Uruguay, Mexiko, Kuba und im Libanon. "Ich bin eine ewig Suchende, mit Neugier bepackt möchte ich andere Welten entdecken, neue Menschen kennen lernen und ihren Alltag abbilden", sagt sie. Woehrl setzt sich intensiv mit fremden Kultur auseinander, um einen künstlerischen Dialog entstehen zu lassen.

Ob sie wohl so das Vertrauen der Beniner gewinnen konnte? "Ich glaube, mein wahrhaftiges Interesse an ihrem Leben hat die Beniner überzeugt", so Ann-Christine Woehrl. Völlig unvoreingenommen sei sie nach Afrika gekommen. "So etwas spürt das Gegenüber." In jedem Fall spürt es der Betrachter. Ihre Fotografien wirken wahrhaftig. Sie ziehen den Betrachter in das abgebildete Geschehen. Als ob man plötzlich Teil des beninischen Lebens geworden wäre.

Woehrl hat sich gegen eine schaurige Darstellung des Voodoo entschieden: keine Froschperspektive, die das Motiv möglichst bedrohlich wirken lässt. Und viel Farbe. Das prachtvolle Kostüm des Zangbeto zum Beispiel erstrahlt in kräftigem Cyanblau und Sonnengelb. Unter einem Haufen Raffiabast tänzelt der Ahnengeist durch die Straßen. Während die bunten Bastfäden hin und her schwingen, verschwimmen sie im Auge des Betrachters zu einem großen Farbklecks. "Ich wollte bei aller Ernsthaftigkeit vor allem die Alltäglichkeit des Voodoo-Kults hervorheben", sagt Ann Christine Woehrl, " eine Entmystifizierung sozusagen". Voodoo sei eben etwas sehr Vitales.

Am 1. Dezember findet ein Vortrag der Fotografin in der Geobuchhandlung (Rosental 6, 19.30 Uhr) statt. Die Originalwerke sind von 30. November bis 16. Dezember im Studio A9 (Amalienstraße 9) zu sehen. Ann-Christine Woehrl, Laura Salm-Reifferscheidt "Voodoo. Leben mit Göttern und Heilern in Benin" kostet 39,99 Euro. Terra Magica, Belser Reich Verlag.

© SZ vom 28.11.2011/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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