Boxen für Führungskräfte:Schläge fürs Selbstbewusstsein

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"Kein Problem, da stehen die Frauen drauf": In der Boxfabrik steigen immer mehr Führungskräfte in den Ring, um sich endlich mal abzureagieren. Disziplin, Beharrlichkeit, Siegeswille kann man auch im Büro brauchen.

Florian Fuchs

Das hätte Evander Holyfield 1997 im Ring mal zu Mike Tyson sagen sollen: "'Tschuldigung, mein Schlag war zu hart." Dann hätte Tyson ihn vielleicht doch ganz nett gefunden und in der dritten Runde darauf verzichtet, ihm ein Stück des rechten Ohrs abzubeißen. Aber Mike Tyson ist eben nicht Otto Princz, und Evander Holyfield nicht Thomas Vasek.

Akademiker kämpfen, wie sie sind: intelligent. Ein blaues Auge ist trotzdem immer mal drin, wenn Otto Princz (links) und Thomas Vasek gegeneinander antreten. (Foto: Stephan Rumpf)

Außerdem kämpften die beiden US-Amerikaner damals in Las Vegas um den Titel im Schwergewicht. Princz und Vasek, die sind zwar auch Schwergewichte. Aber sie kämpfen in München, im ersten Stock der Boxfabrik am Frankfurter Ring. Zuschauer am Ring: null.

Princz ist deshalb auch nicht angefressen, dass sein Kontrahent Vasek gerade mit einer rechten Geraden ein bisschen zu motiviert zugelangt hat. Das passiert halt mal, selbst im Training, selbst, wenn zwei Akademiker gegeneinander boxen. Princz also schüttelt sich kurz, murmelt durch den Mundschutz: "Kein Problem", und nimmt die Fäuste wieder hoch zur Deckung. Dann ertönt der Gong - die dritte von sechs Runden ist vorbei, eine Minute Pause.

"White collar boxing" nennt sich in den USA und in England das, was auch die Akademiker in der Münchner Hinterhof-Gym tun: Bürohengste - die mit den weißen Hemdkragen - steigen in den Ring und kämpfen gegeneinander. Angefangen, so besagt es die Legende, hat alles 1988 in New York, im ältesten Boxklub der USA, dem Gleason's Gym in Brooklyn: David Lawrence, Doktor der englischen Literatur, und Richard Novak, Anwalt, hatten keine Differenzen, sie wollten einfach mal einen Fight austragen.

Der Kampf endete unentschieden, hinterher gingen die beiden gemeinsam essen. Seitdem pilgern Geschäftsleute aus Manhattan regelmäßig über den East River ins Gleason's Gym, um es Lawrence und Novak gleich zu tun.

Die Gym in Brooklyn veranstaltet inzwischen monatlich Akademiker-Kämpfe. In London hat "The Real Fight Club" Hunderte aktive Mitglieder. Und in Hamburg gibt es ebenfalls einen Boxclub, der zweimal im Jahr solche Kämpfe vor einigen hundert Zuschauern veranstaltet. In München ist die Resonanz deutlich geringer; dafür war die Gym vor gut 20 Jahren der erste Club in Deutschland, in dem sich Manager gegenseitig mit Fäusten traktieren durften. Nicht bei Events wie in anderen Städten, sondern ganz privat - als Sparringspartner im Boxring.

Früher, sagt Boxfabrik-Chef Roland Suttner, boxten nur Jungs von der Straße bei ihm. Thomas Vasek ist keiner von der Straße, er war bis vor kurzem Chefredakteur des Wissensmagazins PM. Princz ist technischer Redakteur, der Mann schreibt Bedienungsanleitungen. Vasek ist 42 Jahre alt, er hat graue Haare und sein rotes Shirt spannt ein wenig. Princz ist 46 Jahre alt, seine Haarpracht ist sehr überschaubar. Auch sein Shirt spannt. Es sind nicht unbedingt zwei Typen, die man im Boxring vermutet. Aber das sind die anderen auch nicht. An den Sandsäcken trainieren regelmäßig: ein BMW-Manager, ein Vertriebsleiter eines großen Solarunternehmens, ein Investment-Banker und mehrere Anwälte.

Wie Mike Tyson also sieht hier niemand aus, keiner beißt hier in Ohren oder andere Körperteile. Dennoch leidet Princz' rechtes Ohr, da hat ihn vergangene Woche eine Hornisse gestochen. Es tut ihm jedes Mal höllisch weh, wenn Vasek trifft. Und harmlos sind die Trainings-Kämpfe sowieso nicht: Princz wurde einmal ausgeknockt, Vasek hat sich schon die Nase angeknackst, blaue Augen sind keine Seltenheit. "Kein Problem, da stehen die Frauen drauf", scherzt Princz.

Ein anderer Boxfreund, Banker von Beruf, hat schon eher Probleme damit, weil er Kunden nicht mit einem Veilchen begegnen möchte. Deshalb verrät er auch nicht seinen Namen. Er reagiert sich grundsätzlich nur an Sandsäcken ab, das findet er effektiver als Wildwasser-Kanu, Höhlenklettern oder die Selbstfindung auf der Alm und im Kloster.

Es gibt ja inzwischen allerhand Zerstreuung für den gestressten Manager, das Boxen aber kommt gerade erst richtig in Mode. "Früher war unser Publikum ziemlich jung", sagt Suttner, "heute haben wir immer mehr Leute, die älter sind als 40. Und darunter immer mehr Akademiker."

Suttner könnte jetzt ein bisschen Werbung machen für seinen Club und dem Boxen flugs einen theoretischen Unterbau verpassen, so drehen es die White-Collar-Veranstalter in England und den USA gerne: Disziplin, Beharrlichkeit, Siegeswille, das alles sollen Manager gewinnbringend vom Boxring ins Büro transferieren. Aber auf solche Sprüche hat Suttner keine Lust: "Manager sind von Haus aus diszipliniert und ehrgeizig, sonst wären sie im Beruf nicht erfolgreich."

Es muss also andere Gründe geben, warum immer mehr Gutverdiener den Hinterhof-Sport Boxen für sich entdecken. Für Vasek und Princz ist Boxen erstens einfach Sport, ein Ausgleich zum Job. Und zweitens ist doch ein bisschen was dran an der Küchenpsychologie der Engländer und Amerikaner: "Ich würde sagen, dass ich selbstbewusster bin, seit ich boxe", sagt Vasek, "man wird härter. Und man lernt, mit Angst umzugehen." Deshalb sind die beiden aber nicht erfolgreicher im Job. "Das ist eher so ein Gefühl im Alltag", sagt Vasek. "Ich weiß, dass ich mich jetzt wehren könnte, wenn mich jemand auf der Straße angreift."

Vasek kann sich inzwischen auch vorstellen, bei einem Wettkampf in den Ring zu steigen. Er hat etwa 500 Sparringskämpfe auf dem Buckel, und bei einem Angebot für einen White-Collar-Fight käme er schon ins Grübeln. Suttner traut ihm das zu. "Er ist ein guter Amateurboxer." Und er ist dabei ein typischer Akademiker: Leicht defensiv, immer gut geschützt, abwägend, nie auf volles Risiko. Dafür hat er eine geringere Schlagzahl als so mancher Klischeeboxer von der Straße, sprich: Er attackiert nicht so häufig, dafür gezielter. "Ein Akademiker boxt so, wie er ist: intelligent", sagt Suttner. Von Straßenprügeleien kann hier keine Rede sein.

Und deshalb hat Vasek das Angebot bisher auch noch nicht angenommen, mal in einem Bierzelt, bei einem Dorffest oder ähnlichen Veranstaltungen zu boxen. "Ich glaube, das wäre nicht so mein Ambiente." Dann schon lieber ein Kampf gegen einen anderen Akademiker, so wie sie es in anderen Städten organisieren. Bis dahin tritt er weiter im Training gegen Princz an, einmal die Woche in der Boxfabrik. Und entschuldigt sich artig, wenn er mal zu hart zulangt.

© SZ vom 20.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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