Besondere Zielgruppe:Neue Mitbewohner, neue Feste

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Die Küche kann Halal, der Teeraum bietet einen Samowar: Yüksel Eyis' Heimat bleibt zwar die Türkei, aber hier fühlt sie sich zu Hause. (Foto: Hess)

Im Hans-Sieber-Haus gibt es eine Wohngruppe speziell für Muslime, erste Vorbehalte sind inzwischen ausgeräumt

Von Sven Loerzer

In ihrer ehemaligen Heimat wäre ihr Lieblingsplatz wohl sicher der Stuhl vor der Haustür gewesen. Jetzt aber sitzt Yüksel Eyis, 76, vor ihrer Zimmertür im ersten Stock des Hans-Sieber-Hauses. Obwohl es ein eher dunkler Gang ist, lächelt sie freundlich, grüßt alle Menschen, die vorbeikommen. Sie gehört zu den ersten Bewohnern, die in den speziell auf die Bedürfnisse von Muslimen abgestimmten Wohnbereich eingezogen sind. Im letzten Juni hatte das Münchenstift-Haus seine interkulturelle Öffnung gefeiert. Nun wohnen drei türkische Frauen dort, eine vierte wartet darauf, dass ein Platz frei wird.

"Wir bekommen viele Anfragen", sagt Hausleiter Wolfgang Hilleprandt, "aber dann versuchen die meisten Familien doch, irgendwie zu Hause die Pflege mit der Tochter hinzukriegen." Dabei verfügt der Wohnbereich über einen Gebetsraum, die Küche kann Halal-Kost liefern und auf dem Stockwerk gibt es einen orientalisch anmutenden Teeraum, in den gerade Yüksel Eyis ihren Rollator geschoben hat. Aus dem Samowar hat ihr Felix Goede, stellvertretender Leiter des Wohnbereichs, Tee eingeschenkt. Die Frau, die vor 55 Jahren nach Deutschland gekommen ist, hebt das Teeglas und lächelt: "Prost."

Beim Essen stellt Yüksel Eyis keine besonderen Ansprüche, nur Schweinefleisch mag sie nicht. Wenn es mal eine Halal-Wurst sein soll, dann holt sie der Koch beim Dolphin Market in der Nachbarschaft, die benötigten Mengen sind noch zu gering, um beim Großhändler zu bestellen. Der Gebetsraum wird zwar noch nicht von den Bewohnerinnen genutzt, dafür gehen aber Besucher, Angehörige und auch Mitarbeiter zum Beten dorthin. Auf Wunsch kommt auch der Imam ins Haus.

Zwei zusätzliche Feiern bereichern den Jahreslauf im Heim, das Zuckerfest und das Opferfest. Beim ersten Zuckerfest im letzten Jahr seien alle Bewohner "so still wie noch nie geblieben, als der Imam gebetet hat", berichtet Hilleprandt. Weil sich das fremd angehört habe, sei die Atmosphäre frostig gewesen. Doch als Kinder die "Blume Mohammeds", die weiße Rose, verteilt hätten, sei das Eis gebrochen gewesen, "es wurde immer lustiger und netter". Ein paar Vorbehalte hatte es bei den alteingesessenen Bewohnern zunächst schon gegeben, räumt Hilleprandt ein. Aber das sei wohl mehr aus der Angst heraus zu erklären, dass ihnen dafür etwas weggenommen wird. Doch die Befürchtung, dass andere Feste wegfallen oder die Kapelle dem Gebetsraum geopfert wird, war unbegründet. Auch als die erste Pflegekraft, die Kopftuch trägt, ihren Dienst begann, entstanden Unsicherheiten, "weil das unbekannt war", meint Goede. Im Gespräch ließ sich das ausräumen. Und die Bewohner hätten inzwischen festgestellt, sagt der Hausleiter, dass die Mitarbeiterin mit Kopftuch "nur anders ausschaut, aber doch ganz nett" sei.

Auch bei der Belegschaft gab es am Anfang des Pilotprojekts zur interkulturellen Öffnung Verunsicherung, manche fragten, ob sie jetzt Türkisch lernen müssten, erzählt Goede. Aber im Haus arbeiten ohnehin Beschäftigte aus 32 Nationen mit insgesamt zwölf verschiedenen Sprachen: "Da können wir jemanden aus dem Haus holen, wenn es Probleme mit der Sprache gibt", sagt Goede. Esra Sarica-Konak zum Beispiel ist deutsch-türkisch aufgewachsen. Nun bietet das Haus Mitarbeitern Schulungen an, um Grenzen beim Dolmetschen durch Laien aufzuzeigen, etwa bei heiklen familiären Situationen oder wenn es um die medizinische Versorgung geht.

Den Versuch, in verschiedenen Sprachen "Frohe Weihnachten" zu wünschen, will Hilleprandt lieber lassen, nachdem die falsche Aussprache "Haarige Weihnachten" ergab. Gut gemeint war auch das Grillfest, die Speisen waren halal, aber etwas war nicht bedacht: Zu der Zeit war der Fastenmonat Ramadan, in dem Gläubige zwischen Sonnenaufgang und -untergang fasten. Das Grillfest war zu früh angesetzt.

Yüksel Eyis nimmt das mit Humor. Obwohl sie ihr großes Haus in der Türkei vermisste, hat die Mutter zweier Kinder an eine Rückkehr nicht mehr gedacht. "Meine Heimat ist die Türkei. Aber hier fühle ich mich zu Hause."

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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