Besondere Bundesjugendspiele:Alle sind Sieger

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Zwei Kinder, ein Luftballon: Es geht nicht darum, schnell zu sein. Sondern darum, dass alle drei zusammen nach vorne kommen. (Foto: Robert Haas)

Im Olympiapark finden erstmals inklusive Bundesjugendspiele statt: Behinderte und nicht behinderte Kinder meistern die Aufgaben gemeinsam. Dabei lernen auch die Lehrer einiges

Von Franziska Gerlach

Sie sind ein ungleiches Paar. Anna ist brünett und recht groß für ihre neun Jahre, und wer sie Räder schlagen sieht, pfeilgerade und eines an dem anderen, kommt nicht umhin, sie eine Sportskanone zu nennen. Sonja dagegen ist klein und strohblond. Und fragt man sie, was denn all die Kinder in Sportklamotten auf dem TUM-Campus im Olympiapark machen, dann nestelt das Mädchen mit dem Down-Syndrom an der rosa Mütze und sagt ganz leise: "Spielen."

Doch wenn die beiden Mädchen bei den "Spielen ohne Grenze" durch einen Hütchenparcours trippeln, sind sie ganz eins - vereint durch einen Luftballon, der zwischen ihren Hüften klemmt. Denn bei den inklusiven Bundesjugendspielen, die am Dienstag das erste Mal überhaupt stattgefunden haben, geht es nicht darum, wer am schnellsten rennt oder am weitesten springt. Es geht um das Miteinander. "Die Kinder sollen in der Gruppe die Erfahrung machen, dass jeder Fähigkeiten hat", sagt Elisabeth Wacker, Professorin am Lehrstuhl für Diversitätssoziologie an der Technischen Universität München (TUM).

Die inklusiven Bundesjugendspiele sind ein interdisziplinäres Projekt der TU unter der Schirmherrschaft von Bezirkstagspräsident Josef Mederer. Erarbeitet wurden das Konzept an zwei TU-Lehrstühlen. Zwei Semester lang beschäftigten sich die Studenten mit dem Thema Inklusion, zu deren Förderung Deutschland laut UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet ist. Im Sport ist dieses Miteinander von behinderten und nicht behinderten Kindern eine besondere Herausforderung.

Die Studenten helfen auch dabei, die etwa 130 Grundschüler aus München, Tutzing und Parsdorf in Kleingruppen durch die von ihnen entwickelten Stationen zu führen: Die sogenannte Mobilitäts-, die Balance-, sowie die Awareness-Station, an der die Kinder ihren Körper und seine Funktionen besser kennenlernen konnten. Gerade trabt dort ein Dutzend Kinder über den Rasen. Als sie nach drei Minuten wieder zu den Studenten an den Tisch kommen, haben einige rote Wangen, andere schnaufen. Jetzt den Puls zählen: "Ich habe 110 oder sogar 120", posaunt eines der Kinder heraus. "Wegen dem Laufen."

Drinnen, in einer der Turnhallen, möchte ein geistig behinderter Junge wissen, ob er einen Luftballon mit nach Hause nehmen darf. "Darfst du", sagt ein Student, der die Gruppe des Jungen betreut. Der Kleine strahlt. Einige Meter weiter hat Stefan Haas seine Gruppe um sich versammelt. Er studiert im zweiten Semester Gesundheitswissenschaften und hat den Bewegungsparcours mitentwickelt. Dabei haben die Studenten darauf geachtet, dass die Übungen von allen ausgeführt werden können, egal wie motorisch oder geistig fit ein Kind ist. "Es sollten möglichst verschiedene Bewegungsabläufe gefördert werden", sagt er und deutet auf ein Mädchen, das ein anderes auf einem Rollbrett um ein Hütchen herum zieht. Säße ein Kind etwa im Rollstuhl, dann würde es eben durch den Parcours geschoben, sagt Haas. "Den Ball hätte das Kind dann mit dem Hockeyschläger geführt, anstatt ihn zu passen."

Der kleine Ethan, der die Grundschule in Tutzing besucht, hat eine andere Erfahrung hinter sich: Blind sein. Mit einer Augenbinde hat er sich von seinem Klassenkameraden führen lassen. Aufregend war das, aber auch ein bisschen ungewohnt. Denn sein Freund, sagt Ethan zu seiner Lehrerin Myriam Schröder, habe ihm nicht gesagt, wo es lang gehe. Die Pädagogin schmunzelt. Die "Spiele ohne Grenze" gefallen ihr, auch weil die Kinder dazu angeleitet werden, sich gegenseitig zu unterstützen. "Hier sind sie die Besten, wenn sie sich gegenseitig helfen."

Neben Schröder sitzt Tanja Streitberg auf der Bank und notiert etwas in den Evaluationsbogen, in dem Verbesserungsvorschläge zusammengetragen werden. Sie unterrichtet an der Grundschule in Parsdorf eine Förderklasse. Mit der Einführung in den Wettbewerb ist sie nicht ganz zufrieden. Kinder benötigten anschauliche Erklärungen, sagt sie. "In wenigen Sätzen." Insgesamt lässt sich die Lehrerin aber gerne inspirieren von den inklusiven Bundesjugendspielen. "Da kann man Ideen sammeln", sagt sie, "und im Unterricht hat man dann Zeit, das umzusetzen." Und genau das sollen die Spiele sein. Eine Veranstaltung, die von Schulen ohne größere finanzielle Mittel aufgegriffen werden kann. Anna und Sonja profitieren bereits von der integrativen Kraft des Sportprojekts, das mit Luftballons, ein paar Bänken und Bällen auskommt. Die eine, indem sie hilft. Und die andere, indem sie sich an die Hand nehmen lässt.

© SZ vom 06.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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