Bekenntnis zum Wachstum:Bis an die Grenzen

Lesezeit: 4 min

Wenn die Stadt Wohnraum für immer mehr Menschen schaffen will, muss mit der Platzverschwendung bei neu geplanten Vierteln Schluss sein. Darin sind sich die Stadträte bei der Debatte einig - auch die der CSU

Von Dominik Hutter

München ist ein Blumenkohl. Ein Romanesco, um genau zu sein. Das grüne Gemüse, das ursprünglich aus Italien stammt, wächst im goldenen Schnitt, betont Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Also symmetrisch und wohlproportioniert. So in etwa habe sich bislang auch die Stadt erweitert: Verdichtung in der Mitte, neue Siedlungen am Stadtrand, alles von der Verteilung her leidlich ausgewogen. Nur: So wird es auf Dauer nicht weitergehen können, davon ist die Planungsexpertin überzeugt. Es gelte, Schwerpunkte zu setzen: Quartiere suchen, die eine weitere Verdichtung vertragen können, vielleicht sogar benötigen. Und im Gegenzug Bereiche festlegen, die man entlasten muss. Oder sogar komplett freihalten. "Wir dürfen den Münchner Grüngürtel eigentlich gar nicht anfassen", findet Merk. Ohne ein übergreifendes Konzept für das weitere Wachstum Münchens werde aber genau dies passieren.

Die Stadtbaurätin ist deshalb mit einer Frage an den Stadtrat ins Wachstums-Hearing im Rathaus gekommen: Wie es die Politiker denn fänden, neue Wohngebiete nicht nach einer Vielzahl einzelner Bebauungspläne zu gestalten, sondern vielmehr nach einem Gesamtkonzept aus einem Guss. Der Stadtentwicklungsplan von 1983 war das letzte Papier dieser Art. Seitdem gibt es für München zahlreiche kleinere Planwerke, die zentrale Zielvorgabe fehlt. Merk hat bereits Ideen, was in einem neuen Stadtentwicklungsplan festgeschrieben werden könnte: neue Wachstumsachsen etwa, nach Norden in Richtung Flughafen und nach Osten gen Messestadt Riem. "Eine wachsende Stadt braucht eine strategische Planung", bekräftigt auch der Berliner Planungsexperte Klaus Overmeyer, der als externer Referent zu dem Hearing geladen ist. Die Erfahrung zeige, dass Städte ohne entsprechende Bemühungen am Ende abgeschlagen zurückblieben.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), das wurde bei der Veranstaltung bereits klar, hält Merks Vorschlag für sinnvoll. Überhaupt soll sich der Stadtrat in nächster Zeit intensiver mit dem Thema Wachstum befassen, das die Politik in München derzeit so stark in Beschlag nimmt. Bald soll es auch ein eigenes Hearing zum Kernthema Verkehr geben. An diesem Mittwoch aber steht im Großen Sitzungssaal des Rathauses erst einmal ganz allgemein im Raum, wie man das voraussichtlich weiter anhaltende Bevölkerungswachstum verträglich gestalten kann.

Verhindern, da sind sich Politiker und Experten einig, lässt sich der starke Zuzug nicht. "Ich glaube, das können wir als Kommune nicht", erklärt SPD-Fraktionschef Alexander Reissl - niemand wolle eine neue Stadtmauer. Eine attraktive Wirtschaft ziehe nun einmal immer mehr Menschen an. "Wir werden also weiterhin Wohnungen bauen müssen." Der langjährige CSU-Planungsexperte Walter Zöller sieht eigentlich nur eine Chance, den Zuzug zu bremsen - und die verbiete sich von vornherein: ein Baustopp für Wohnungen. Die Konsequenzen eines solchen Schrittes wären aber wohl immense Mietsteigerungen und ein weiteres Anschwellen der Pendlerlawine. Das will im Rathaus niemand.

Rohstofflager Großstadt: Statt immer mehr neue Materialien zu beschaffen, sollten besser vorhandene genutzt werden. Das ist die Idee des Urban Minings. (Foto: Johannes Simon)

Ohnehin ist die Einigkeit der Politiker deutlich größer, als es Reiter ursprünglich vermutet hatte. Denn der Oberbürgermeister hatte nicht zuletzt deshalb zum Hearing geladen, um endlich eine zentrale Frage abschließend zu klären: Sind alle mit im Boot, wenn es darum geht, neue Wohnungen zu bauen? Verärgert ist Reiter vor allem über den Bündnispartner CSU, der im Rathaus stets für bezahlbaren Wohnraum argumentiere, in den Stadtrandbezirken aber mit Plakaten Stimmung gegen angeblich geplante Plattenbauten im östlichen Bogenhausen mache. "Ich weiß nicht, in welchem Planungsausschuss die beschlossen wurden", lästert Reiter - in Wahrheit gibt es noch gar keine detaillierten Pläne für die neuen Häuser im Entwicklungsgebiet Nordost.

Zöller nimmt dem OB in dieser Frage sogleich den Wind aus den Segeln. Denn die von örtlichen CSU-Politikern geklebten Plakate hätten nicht nur die SPD irritiert. "Mir gefallen sie auch nicht", so Zöller. Letztlich seien sie aber Ausdruck einer Mentalität, die sich in den vergangenen Jahren im Stadtrat breit gemacht habe: sich als Stadtteilrat zu begreifen, als verlängerter Arm der Bezirksausschüsse. Dies aber sei nicht die Aufgabenbeschreibung eines Gremiums, das die Interessen der gesamten Stadt im Auge behalten müsse.

Ansonsten lobt Zöller die Einigkeit im Rathaus, wenn es um die weitere Entwicklung der Stadt gehe. Und tatsächlich zeigen sich die Akteure auch am Mittwoch in den wesentlichen Punkten auf einer Linie: Dass es nicht darum gehen darf, Wachstum zu verhindern. Man kann es nur gestalten. Dies geschieht vor allem mit dem Bau neuer Wohnviertel - und dabei sind für die Stadträte weder eine höhere Dichte und Urbanität noch Hochhäuser tabu. Was ziemlich nach "kompakt - urban - grün" klingt, wie Reiter resümiert - nach dem schon seit vielen Jahren verwendeten Planer-Slogan aus dem Leitbild "Perspektive München". Der allerdings einen gravierenden Nachteil hat, wie FDP-Fraktionschef Michael Mattar einwirft. "Er wurde nie umgesetzt".

Tatsächlich häufen sich im Stadtrat die Klagen über die vergeudete Chancen beim Bau neuer Quartiere, über heillose Platzverschwendung. Zwei- oder dreistöckige Riegel entlang von Hauptverkehrsstraßen etwa, riesige Parkplätze neben einstöckigen Großmarkt-Schachteln oder auch die niedrige Vorortbebauung in weiten Teilen der Messestadt Riem. Es gelte, das Bau- und Planungsrecht auch auszunutzen, mahnt Reiter. Und Dichte, das wird an diesem Tag mehrfach betont, ist ja nicht nur ein Stressfaktor und Problem. Dichte ist das Grundprinzip von Stadt. Wo viele Leute auf engem Raum wohnen, entstehen Läden, Cafés und Restaurants. Dort herrscht Leben auf der Straße und die U-Bahnen können im Fünf-Minuten-Takt fahren.

Walter Zöller (CSU)

Man kann Wohnungsbau nicht mit knappen Mehrheiten voranbringen. Stadtentwicklung ist auf Kontinuität angewiesen. Der Stadtrat ist bereit, die Anforderungen für die Zukunft anzunehmen."

Michael Mattar (FDP)

1 / 3
(Foto: Alessandra Schellnegger)

"Das Wachstum in München ist nicht exorbitant. Das kommt einem nur so vor, weil die Stadt zuvor 20 Jahre lang überhaupt nicht gewachsen ist."

Elisabeth Merk, Stadtbaurätin

2 / 3
(Foto: Alessandra Schellnegger)

"Das vorhandene Instrumentarium für bezahlbaren Wohnraum muss genutzt werden. Aus Siedlungen wie Neuperlach kann durch Nachverdichtung Stadt entstehen. Man darf keine Angst vor Größe haben."

Dieter Reiter, Oberbürgermeister

3 / 3
(Foto: Alessandra Schellnegger)

"Die Frage lautet: Trauen wir uns, einen Plan zu wollen? Wir müssen ihn beschließen, aber dann auch vertreten. Dabei gilt es, auf 2030 zu schauen, nicht nur auf 2017/2018."

Es sei ja kein Zufall, so SPD-Mann Reissl, dass es sehr viele Münchner in Kauf nehmen, an viel befahrenen Innenstadtstraßen zu wohnen und dafür noch hohe Mieten bezahlen. "Die machen das freiwillig". Weil sie eine großstädtische Umgebung mögen. Die wirklich urbanen Quartiere, Haidhausen etwa, Schwabing, die Maxvorstadt oder die Schwanthalerhöhe, "das sind die Viertel, die München prägen". In der Parkstadt Schwabing hingegen stimme es städtebaulich überhaupt nicht: viel zu niedrige Häuser, die weitab von der Straße stehen und sich obendrein optisch von ihr abwenden. Am Viehhof sei man gerade dabei, einen ähnlichen Fehler erneut zu begehen. 420 Wohnungen, "das ist viel zu wenig ambitioniert", findet Reissl. "Wir müssen an die Grenzen dessen gehen, was das Planungsrecht zulässt".

In der Vergangenheit war man da weniger zimperlich. Mit dem in den Sechzigerjahren begonnenen Neuperlach habe man "in wahnsinnig kurzer Zeit unheimlich viel gemacht", erinnert Merk. Und auch das 1972 fertiggestellte Olympiadorf, heute eine der beliebtesten Wohnsiedlungen der Stadt, sei in dieser Dimension wohl nur durch die damalige Olympia-Euphorie möglich geworden. "Drei Olympiadörfer und fünf Unités von Le Corbusier, dann ist das Wachstum gemeistert", scherzt Merk unter Anspielung auf die legendären "Wohnmaschinen" des schweizerisch-französischen Architekturvisionärs.

Öffentliche Grünflächen, auch da herrscht Konsens im Stadtrat, will niemand zubauen. Wenn man aber auch die Äcker der geplanten Entwicklungsgebiete im Norden und Nordosten ausspart, so Reiter, "dann schrumpfen unsere Baulandreserven dramatisch".

© SZ vom 06.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: