Bayerns Kabinett hält an Kuriosum fest:Gymnasium paradox - mit einem neunjährigen G8

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"Das lange Warten aufs G9" vom 21. Juli, "Bunter Strauß" vom 1. August, "Die zweijährige Oberstufe soll bleiben" und Kommentar "Das G8 ist am Ende" vom 3. August:

Das ist keine Entscheidung

Nun haben wir den Salat . . . - schön gemischt, damit für alle was dabei ist! Kein G8 und kein G9, keine Mittelstufe-Plus, kein Flexijahr, und so weiter. Die Fraktion war für acht, der Ministerpräsident für neun Jahre - der Kultusminister für alles! Aber so geht's doch auch nicht, eine Entscheidung muss her, Direktoren, Lehrer und Eltern fordern eine Entscheidung, egal was, aber eine Entscheidung! Und endlich legt sich der MP fest und sagt: "Jetzt reicht's mir, macht doch was ihr wollt!" Ende vom Lied (der politischen Klausur): Jeder Schuldirektor kann sich aussuchen, was er/sie, oder die Eltern, oder die Lehrer oder vielleicht sogar die Schüler wollen (entscheiden kann die "Schulfamilie"). Nur eins ist sicher (wie lange?), die Oberstufe bleibt wie sie ist. Keine Zusatzangebote, die die Neigungen des Schülers berücksichtigen, MINT bleibt Stiefkind und die drei verpflichtenden schriftlichen Abitur-Prüfungsfächer bleiben auch. Es wurde eine politische (Nicht-)Entscheidung getroffen und das Thema wieder ins Wahljahr verschoben. Von Niedersachsen sind wir entsetzt, die sind komplett zum G9 zurück. Und die neuen Bundesländer machen G8 halt anders. Aber bei denen funktioniert Gymnasium.

Sind Bayerns Schüler so viel anders? Nein, nur das Ministerium versucht die Quadratur des Kreises. Lieber Herr Spaenle, das geht nicht! Treffen Sie eine Entscheidung für oder gegen G8 oder G9, aber treffen Sie eine! Rainer Kleybolte, München

Der Wunsch nach Ruhe

Die CSU-Tagung hat, wie allgemein erwartet, keine klare Regelung zum G8 und G9 getroffen. Es bleibt also in Bayern beim Kuriosum "neunjähriges G8". Man wollte weder Eltern (= Wähler) noch die eigenen Fraktionsmitglieder verprellen, die sich in ihren Wahlkreisen die letzten Jahre sehr viel Kritik zur Einführung des G8 haben anhören müssen. Der Schwarze Peter - Entschuldigung -, die Wahl der Schuldauer wurde an die Schulen und deren Schulleiterinnen und Schulleiter weiter gereicht. Natürlich werden selbst in großen (?) Gymnasien auf Dauer nicht beide Zweige unterrichtet werden können. Dass diese Schulen personell und finanziell dafür ausgestattet werden, kann man getrost zwischen sehr unwahrscheinlich und unmöglich einstufen.

Die allermeisten Gymnasien werden sich dem zufolge zum G9 bekennen mit entsprechender Nachmittagsbetreuung, schon damit sich die teuren Mensen noch weiter rentieren. Nur ganz wenige Eliteschulen werden beim G8 bleiben. Das werden insbesondere die Gymnasien sein, die das bisherige G8-Abitur außer mit sehr guten Noten praktisch ohne Durchfaller gemeistert haben (vermutlich überwiegend die humanistischen). Schon im alten G9 konnte man das Abitur in jedem Gymnasium durch Überspringen einer Klasse nach acht Jahren erreichen; ab jetzt gibt es dies halt nur noch in auserwählten Schulen. Ob sich jetzt viel ändert oder nicht, ist nicht so wichtig wie die Hoffnung, dass die Gymnasien endlich mehr Ruhe bekommen. Dr. Rainer Pippig, Neuried

G9 auf Umwegen

Bedeutet die Rückkehr zum G9, dass alle Gedanken, die in den Lehrplan Plus eingegangen sind, nun "weggeworfen" werden? Schade um die Arbeit, Mühen, die sich die Lehrkräfte machten, ganz abgesehen von den Kosten, die die Fortbildungen, Freistellungen et cetera dafür gekostet haben.

Bedeutet die Rückkehr zum G9 die Abschaffung des fünften Abiturfachs, das mündlich abgelegt wurde, und für viele zur Notenverbesserung beigetragen hat?

Bedeutet die Rückkehr zum G9, dass die schriftlichen Leistungen in der Qualifikationsphase wieder im Verhältnis 2:1 zu den mündlichen Leistungen gewertet werden? Dies führt sicherlich zu einem schlechteren Abiturschnitt als im G8. Wissen das die Eltern, die nur Kinder im G8 hatten?

Viele, viele ungeklärte Fragen, und dies soll nun in eineinhalb Jahren geklärt werden? Und die Schulen dürfen selbst entscheiden? Bei zurückgehender Schülerzahl wird wohl kaum ein Gymnasium beide Formen unter Beibehaltung aller Zweige einführen können. Die Politik verlagert die Verantwortung nach unten, das Chaos wird perfekt sein! Hauptsache das Wahlergebnis für die CSU stimmt. Ulla Friedrich, Würzburg

Bittere Enttäuschung

Wer bei der Kabinettsklausur auf eine richtungsweisende und verlässliche schulpolitische Entscheidung gehofft hatte, wurde bitter enttäuscht. Die Politik drückte sich um ihre Verantwortung und schiebt nun den "Schwarzen Peter" den einzelnen Gymnasien zu. Die Warnungen der Schulleiter vor Doppel- und Dreifachstrukturen, G8 oder G9 oder G8/G9 parallel, wurden in den Wind geschlagen. Auch Stoibers Kabinett negierte bei der übereilten und schlecht vorbereiteten Einführung des G8 im Jahr 2003 die Warnungen vieler Schulleitungen. An den Folgen wird seither erfolglos laboriert. Jetzt wiederholt sich dieses Verfahren, denn es zeichnen sich erneut viele Probleme ab: Der Stadt-Land-Unterschied und die Unterschiede zwischen kleinen und großen Gymnasien werden sich weiter vergrößern. Wenn einem Teil der Schüler das gewünschte Modell nicht angeboten werden kann, sind Schulwechsel absehbar. Was ist bei Umzügen, wenn das bisherige Modell nicht vorgefunden wird? Wer entscheidet über das Modell? Wie lange ist eine Schule an die Entscheidung gebunden? Was ist bei einem Dissens zwischen Schule und Sachaufwandsträger? Greift das Konnexitätsprinzip? Welche Übergangsregelungen gibt es für die jetzige Unter- und Mittelstufe? Sind die Auswirkungen auf Ausbildungsbetriebe und Hochschulen bedacht, wenn ein Abschlussjahrgang entfällt? Bei Doppelstrukturen müsste jährlich ein doppelter Abiturjahrgang bewältigt werden. Wie sieht es mit Lehrplänen, Stundentafeln, Schulbüchern und einheitlichen Qualitätsstandards aus? Gibt es bereits gesicherte Kalkulationen zu diesem teuren Modell?

Entscheidend wird auch sein, ob die notwendigen finanziellen Mittel den Schulen zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Ständige Nachbesserungen und erhebliche Organisationsprobleme zeichnen sich bei dieser Komplexität ab. Kurzum, die ersehnte Ruhe und Stabilität an den Gymnasien wird ausbleiben. Sprach Stoiber bei der Einführung des G8 noch von der Champions League, so entspricht der jetzige Kabinettsbeschluss bestenfalls Amateurliganiveau. Man kann nur hoffen, dass die angekündigten ausführlichen Gespräche doch noch zu einer Revision dieser Entscheidung führen und als Ergebnis ein einheitliches und qualitätsvolles bayerisches Gymnasium zum Wohle der Schüler herauskommt. Dr. Peter Riedner, München

Warum so fixiert aufs G9?

Junge Menschen mit 18 sind einfach noch nicht reif, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Folgt man der Kommentatorin, ist das eine Art Naturgesetz. Eigenartig nur: Weder in Ostdeutschland, noch in den meisten anderen Weltgegenden scheint dieses Gesetz zu gelten. Die Wahrheit ist: Weil westdeutsche Lehrer, Eltern und Journalisten mit dem neunjährigen Gymnasium aufgewachsen sind, können sie sich seitdem nichts anderes mehr vorstellen. Wenn es ein Merkmal von Bildung ist, über den engeren Erfahrungshorizont hinauszublicken, dann hat das G9 in diesem Punkt wohl versagt. Axel Lehmann, München

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© SZ vom 22.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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