Auszeichnung:So traurig, so schön

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Echo-Klassik-Preis für Nachwuchskünstlerin Sophie Pacini

Von Udo Watter, München

Eine junge virtuose Frau mit langen schwarzen Haaren sitzt am Flügel. Mit verträumten Blick und manueller Finesse entfaltet sie den süßen Klangzauber von Chopins Balladen und Nocturnes. Romantik zum Schmelzen. Klassik zum Kuscheln. Wellness für die Ohren. Oje.

Wenn die 23-jährige Pianistin Sophie Pacini schon seit Beginn ihrer künstlerischen Entwicklung etwas zu entkommen sucht, dann der Gefahr, gemäß allzu durchschaubarer Vermarktungsstrategien der Klassik-Branche inszeniert zu werden. 1991 als Tochter deutsch-italienischer Eltern in München geboren, ist ihre optische Erscheinung sicher kein Karriere-Nachteil und in Kombination mit populären Werken der Klavierliteratur eine attraktive, aber eventuell auch wohlfeile Verlockung für den potenziellen CD-Kunden. Als ihre Plattenfirma und der coproduzierende Deutschlandfunk sie im Sommer 2013 baten, sich in ihrem dritten Album dem polnischen Komponisten zu widmen, zögerte die am Salzburger Mozarteum ausgebildete Pianistin nicht zuletzt aus besagten Gründen. "Erst wollte ich gar nicht", sagt sie. "Junges Mädel mit dunklen Haaren spielt Chopin, das passt ins Bild." Zudem droht gerade beim Paradekomponisten der romantischen Klaviermusik das Risiko, ihn weich zu zeichnen und süßlich zu präsentieren - das wollte Pacini partout vermeiden.

Sie hat sich dann nach längerer Abwägung doch dafür entschieden, ein guter Entschluss: Sophie Pacini hat jetzt für ihre Einspielung ausgewählter Klavierwerke Chopins den Echo-Klassik-Preis als "Nachwuchskünstlerin des Jahres 2015" erhalten. "Damit habe ich nicht gerechnet. Das ist eine der größten Auszeichnungen, die man bekommen kann", sagt sie.

Dass ihre Entscheidung auch aus künstlerischer Sicht richtig war, hatte sich schon im Laufe der Vorbereitungen auf das Album angedeutet. Von Beginn an war es ihre Intention, die düstere und dramatische Seite Chopins in den Vordergrund zu rücken, die scharfen Kontraste seines Werkes herauszuarbeiten, weich aufblühende Erinnerungen von melodischer Vollkommenheit genau so zu gestalten wie Momente aufwühlender Emotionen, die sich in Ekstasen tiefster Hoffnungslosigkeit steigern. An einem Abend während der Entwicklungsphase im Herbst 2013 war in ihrem Elternhaus in Großhelfendorf eine besondere Persönlichkeit zu Gast: Die bedeutende argentinische Pianistin Martha Argerich. Ihr hatte Sophie Pacini vor fünf Jahren einmal unangemeldet in einem italienischen Hotel vorgespielt, später wurde sie zu ihrer Mentorin und Freundin. Anlässlich eines Konzertes in München suchte sie einen guten Ort zum Üben. Sie nahm das Angebot der Pacinis an, deren Steinway zu nutzen. Die beiden Pianistinnen spielten und fachsimpelten die ganze Nacht. Die junge Virtuosin teilte der älteren berühmten Kollegin einige ihrer Gedanken und neuartigen Interpretationsansätze mit, etwa einen weniger akzentuierten Daumen-Anschlag in Chopins berühmter Fantasie-Impromptu zu versuchen, und wurde in ihrem Weg bestätigt. "Ich hab's ihr vorgespielt und sie hat gesagt: Ja, das hört sich logischer an."

Fernerhin hat sich bei weiteren Recherchen herausgestellt, dass sie ihr Gefühl nicht getrogen hat: In einer dem Urtext entsprechenden Fassung des polnischen Chopin-Experten Jan Ekier fehlten besagte Akzentuierungen. "Da hast du dann das Gefühl, du bist Chopin ganz nahe", erklärt Pacini. Die profunde Auseinandersetzung mit Musik ist ein wesentliches Charakteristikum der 23-Jährigen, die akribisch und tief einzutauchen versucht in die Essenz der Werke. Während ihres Studiums am Mozarteum schulten sie ihre Dozenten nicht nur in Improvisation, Gehörbildung, Harmonielehre, Tonsatz und Dirigieren, als 14-Jährige lernte sie in der Meisterklasse des Pianisten Pavel Gililov auch einen geistig-philosophischen Zugang zur musischen Welt und den Kompositionen.

Davon profitiert Pacini, die der Bayerische Rundfunk einmal eine "früh Vollendete" nannte und die sich in der Tat auffallend reif und eloquent auszudrücken weiß, durchaus nachhaltig. 2011 schloss sie ihr Studium mit Auszeichnung ab und im selben Jahr gewann sie auch den Förderpreis des Deutschlandfunks als eine "der größten Begabungen ihrer Generationen". Im Februar 2012 erschien bei Onyx Classics ihre erste CD-Aufnahme mit Klavierkonzerten von Schumann und Mozart. Im November folgte beim Label "Cavi Music" ihre erste Solo-CD mit Werken von Schumann und Liszt. Ihre dritte CD "Chopin" ( Cavi Music) wurde kurz nach dem Erscheinen im August 2014 bei Radio Brandenburg "CD der Woche". Pacini lernte zu dieser Zeit in Berlin Verantwortliche der großen Plattenfirmen Deutsche Grammophon, Warner und Sony kennen. Da diese über die Jury auch Einfluss bei der Verleihung der Echo-Klassik-Preis haben, offensichtlich eine durchaus nützliche Bekanntschaft.

Sophie Pacini hat für ihre Einspielung ausgewählter Klavierwerke Chopins den Echo-Klassik-Preis als "Nachwuchskünstlerin des Jahres 2015" erhalten. (Foto: Susanne Krauss)

Erfahren hat Pacini, die in Aying aufgewachsen ist, inzwischen aber eine Wohnung in München hat, von der Entscheidung im Juni. Die offizielle Bekanntgabe erfolgte Ende August.

Wie es aussieht, öffnet ihr der Preis weitere Türen: Sie hat inzwischen eine neue, international renommierte Konzertagentur und demnächst wird sie von einem großen Label unter Vertrag genommen werden. Die nächste CD-Aufnahme steht dann im März 2016 in den USA an. Das Programm ist noch nicht endgültig klar, aber eines scheint sicher: gefällig oder kitschverdächtig werden die Interpretationen nicht sein - selbst wenn Sophie Pacini einem auf dem Cover mit ihren dunklen Haaren und melancholisch-verträumten Augen entgegenblicken sollte.

© SZ vom 04.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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