Auszeichnung für Eigeninitiative:Unterricht auf Augenhöhe

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An der Anita-Augspurg-Berufsoberschule für Sozialwesen lernen Erwachsene von Erwachsenen. Für das besondere Konzept gibt es den Münchner Schulpreis

Von Anna Günther

Charlotte wartet schon und winkt euphorisch. Der pinke Prinzessinnenrock sitzt. Aber das Krönchen auf dem Schneewittchen-Haar hat keine Chance bei den wilden Hüpfern des Mädchens. Die Dreijährige macht Show, die Buben sitzen artig auf Hockern und schauen zu. Elf Kinder spielen in der Krippe, während die Eltern nebenan lernen und unterrichten. Seit 28 Jahren ist das an der Anita-Augspurg-Berufsoberschule (BOS) für Sozialwesen so. Bis heute sind Schulen mit Kinderbetreuung selten. "Das habe ich gleich initiiert, als ich damals als junge Lehrerin an die Schule kam", sagt Irmgard Fischer-Guggemos. Seit drei Jahren leitet sie nun die BOS. Ohne Krippe hätten seinerzeit viele Schülerinnen gar nicht weiter lernen können. Und ihr eigenes kleines Kind war auch gut aufgehoben. Heute ist das kaum anders. Schüler bringen ihre Kleinsten mit zur Schule, manche Lehrer ebenfalls.

Die Krippe ist nur ein Punkt von vielen, in denen sich die Schule von den anderen fünf Finalisten des Münchner Schulpreises unterscheidet. Die BOS wird von zwei Frauen geführt. Die Schüler haben ihre Schulzeit lange hinter sich und wollen nach einer Berufsausbildung nun doch noch einmal lernen. In einem Jahr machen 500 junge Männer und Frauen aus mehr als 30 Nationen ihr Fachabitur, für die Allgemeine Hochschulreife bleiben sie zwei Jahre am Königsplatz. Erwachsene unterrichten Erwachsene - auf Augenhöhe. Auch wenn das nicht immer einfach sei, sagt Fischer-Guggemos. Gerade für jüngere Lehrer. Vielleicht ist es dieses Anderssein, das die Jury um Stadtschulrat Rainer Schweppe belohnen will. Die BOS wurde am Dienstag beim Ganztagsbildungskongress als beste Schule ausgezeichnet. 14 Schulen hatten sich für den zweiten Münchner Schulpreis beworben, sechs kamen in die engere Wahl und wurden im November von der Jury besucht. Die drei Preisträger sollen Vorbild für die anderen Münchner Schulen sein, heißt es im Schulreferat. Ihre Ideen werden mit insgesamt 30 000 Euro belohnt.

Zu den Bewertungskriterien für den Schulpreis gehört neben dem Umgang mit Diversität und nachhaltigen Bildungserfolgen auch der Ganztag. Schulleiterin Fischer-Guggemos war beim Besuch wenige Tage vor der Preisverleihung gar nicht so siegessicher: "Wir sind ja keine echte Ganztagsschule, die Projekte laufen alle freiwillig nachmittags", sagt 62-Jährige. Aber auf ihre Schüler lässt sie nichts kommen. Deren Engagement sei enorm, obwohl die meisten nebenbei arbeiten müssen. Einige kümmern sich um Flüchtlinge der Schlauschule in der Bayernkaserne, helfen bei Behördengängen, übersetzen oder machen Ausflüge. An den Berufsschulen nebenan gibt es Integrationsklassen, in denen junge Asylbewerber Deutsch lernen. Mit Projekten und Rollenspielen erklären die BOS-Schüler den Flüchtlingen Gepflogenheiten und Grenzen. Auf den Partys sind die Asylsuchenden herzlich willkommen.

Den Juroren hat gerade die Eigeninitiative der Oberschüler gefallen: Bürgermeisterin Christine Strobl lobte bei der Preisverleihung das Engagement der Schüler, die nach dem Unterricht gemeinsam lernen, Sprachen üben oder Theater spielen. Auch die Arbeit der Lehrer sei bemerkenswert, Schüler und Pädagogen bildeten Teams auf Augenhöhe, die gemeinsam die Hochschulreife schaffen wollen. 85 Prozent der jungen Erwachsenen verlassen die BOS in Richtung Uni.

Der Schulabschluss liegt bei den Zweitplatzierten des Schulpreises noch in weiter Ferne. Eigeninitiative ist auch die Spezialität der 230 Grundschüler am Winthirplatz. Die Kleinen entwickeln mit ihren Lehrern einen individuellen Wochenplan und arbeiten dann selbständig weiter. Seit fünf Jahren lernt ein Teil der Schüler den ganzen Tag in der Nymphenburger Grundschule. Bürgermeisterin Strobl lobte besonders die Vielfalt der Methoden und die enge Beziehung der Lehrer zu ihren Schülern. "Jedes einzelne Kind wird mit seinem Charakter und individuellen Fähigkeiten wahrgenommen und gefördert", sagte sie. Die Nymphenburger arbeiten mit 23 externen Partnern zusammen, um den Kleinen möglichst früh viele Impulse zu bieten.

Das Kooperationsnetz der Mittelschule an der Wittelsbacherstraße ist noch dichter gewebt. 32 Externe bieten Programm für 372 Schüler, koordiniert vom Bayerischen Roten Kreuz. "Beim Ganztag darf man nicht kleckern, sondern muss klotzen", sagt Rektor Hermann Huber. "Das Übliche" will er nicht, seine Schüler lernen Fechten, Tanzen oder die brasilianische Kampfkunst Capoeira. Seit zehn Jahren setzt die Mittelschule an der Wittelsbacherstraße auf Ganztagsunterricht, vor sieben Jahren hat sich das Lehrerkollegium geschlossen für den gebundenen Unterricht entschieden. Aus drei Stadtvierteln kommen die Jugendlichen an die Isar. Mittlerweile lernen 16 der 19 Klassen bis zum Nachmittag, auch die Mädchen und Buben, die sich auf die Mittelschule an sich oder auf die Mittlere Reife vorbereiten. Die offene Version mit Nachmittagsbetreuung habe man aufgegeben, sagt Huber.

Der richtige Ganztagsunterricht tue den Jugendlichen einfach gut. "Die Schüler lernen einen ganz anderen Umgang miteinander", sagt Huber. Das "bravouröse Verhalten" hätten sogar Außenstehende bemerkt. Er klingt nun fast väterlich stolz. Der Preis ist für den Rektor Anerkennung der jahrzehntelangen Arbeit. Seinen Wetteinsatz bezahlt er gerne: Huber lag richtig, seine Schule ist unter den besten drei Münchner Schulen 2016. Macht zwei Kästen Bier für seine Kollegen. Oder Limo.

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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