Auszeichnung:Der ewig Neugierige

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Ludwig Spaenle (rechts) ehrt den Schriftsteller Alexander Kluge. (Foto: Florian Peljak)

Alexander Kluge beweist, warum er den Jean-Paul-Preis verdient

Von Ulrike Schuster, München

Bei Preisverleihungen ist den Zuhörern oft sogar noch nach eineinhalb Stunden voller Reden nicht klar, wofür der Preisträger jetzt eigentlich geehrt wurde. Am Montagabend im Max-Joseph-Saal der Residenz ist das anders. Alexander Kluge ist ein Geschichtenerzähler, der auf den Punkt kommt. Für sein Lebenswerk erhält er den Jean-Paul-Preis, den Literaturpreis des Freistaats Bayerns.

Kluge steht auf der Bühne, sein Blick wandert durch die Reihen des Publikums, er sucht den direkten Kontakt. Nicht die anderen lässt er über sich reden, er redet selbst. Schnell kapiert man, wofür er den Preis verdient: für seine Poesie; für seinen Mut, sich von Regeln zu befreien. So gelingt ihm aufregendes Erzählen ganz unaufgeregt, gleichgültig lässt er niemanden. Auch Kunstminister Ludwig Spaenle nicht.

Spaenle würdigt Kluge als "Ausnahmepersönlichkeit des zeitgenössischen Geisteslebens", als "Aufklärer der Gegenwart", der sich als "medienübergreifender Chronist und Diagnostiker" der Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände widmet. Kluge ist ein Künstler, der sich die Kanäle und Formen für seine Geschichten nach Lust und Laune sucht. Als Filmemacher konzipierte er den Neuen Deutschen Film der Siebziger- und Achtzigerjahre. Das war künstlerische und intellektuelle Avantgarde. Tom Tykwer nannte ihn den deutschen "Jean-Luc Godard". Als Schriftsteller verfasste er analytische, literarische und essayistische Werke. Er war Mitglied der Gruppe 47, machte sich zum Meister der Kurz- und Kürzestgeschichten: "Jedes Thema kann man in eineinhalb Minuten erklären", sagt er.

Kluge baut seine Geschichten aus Details, Kleinigkeiten und flüchtigen Momenten. Seine Worte und Bilder treffen direkt - er verdichtet und spitzt zu. Dahinter steckt eine klare Haltung. Jedoch zwingt sie sich nicht auf; sie fordert zur Beschäftigung auf, das eigene Denken seinem Denken entgegenzusetzen. Das macht seinen Erzählstil stark. Unverwechselbar.

Deshalb kann es an diesem Jean-Paul-Abend auch nur ein Thema für Kluge geben: die Aufklärung. Was bedeutet sie? Bei Jean Paul im Jahr 1799 fängt er an zu erzählen, bei den Hipstern des Silicon Valleys 2017 hört er auf. Das sind 218 Jahre Philosophie der Aufklärung, erzählt in zwölf Einzel-Geschichten: vier Mal liest er, vier Mal zeigt er einen Film, vier Mal spielt ein Pianist ein klassisches Stück Musik. Kein Einzelelement dauert länger als eineinhalb Minuten, jedes ist ein anarchisches Spiel: Er vereinigt das Nicht-Füreinandergemachte, wechselt die Ebenen, spielt mit den Perspektiven. Freunde nennen ihn "den Fragenden", er selbst nennt sich den "ewig Neugierigen". Kluge ist immer noch unterwegs und gehorcht nur einer Regel: der Kürze, "eine Form der Höflichkeit". Sein echtes Lebenswerk, seine 85 Jahre Leben, konzentrierte er in 402 Geschichten. Das ist höflich.

© SZ vom 13.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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