Ausstieg aus der Kohlekraft:Zittersieg mit Signalwirkung

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Die Mitstreiter des Anti-Kohle-Bündnisses verfolgen die Auszählung mit Spannung und verhaltenem Jubel, denn die meisten Münchner gehen überhaupt nicht zur Abstimmung. Jetzt soll der Erfolg auch den Weltklimagipfel beflügeln

Von Thomas Anlauf

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(Foto: Florian Peljak)

Erleichterung und Jubel herrscht bei den Mitgliedern des Bündnisses "Raus aus der Steinkohle",...

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(Foto: Florian Peljak)

...als feststeht,...

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(Foto: Florian Peljak)

...dass das Quorum erreicht ist.

Zwei Jahre dauerte der Kampf, dann beginnt das Bangen. Wird es reichen für das Bündnis "Raus aus der Steinkohle"? "Ich habe ein flaues Gefühl", sagt Thomas Prudlo von der ÖDP, als am Sonntag um 18 Uhr die Wahllokale schließen. Die Umweltpartei hatte im Herbst 2015 damit begonnen, Unterschriften zu sammeln, damit das Steinkohlekraftwerk in Unterföhring bis Ende 2022 abgeschaltet wird. Nach einer Woche hatten die Umweltaktivisten 3000 Unterschriften zusammen, doch bis sie genügend gesammelt hatten, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen, dauerte es dann doch noch bis zum Sommer 2017.

"Also ich habe kein flaues Gefühl", sagt Michael Schabl, Kampagnenleiter des Bündnisses, vor Bekanntgabe der ersten Wahlergebnisse. Er tippt um 20 Minuten nach sechs Uhr abends auf 20 Prozent Wahlbeteiligung und eine Zustimmung von 70 Prozent für das vorzeitige Aus des Kohlekraftwerks. Dann, um 18.25 Uhr kommen erste Zahlen: 58,3 Prozent der ausgezählten Stimmen sind zu diesem Zeitpunkt für den Ausstieg, 41,7 dagegen. Vereinzelte Jubelschreie, aber auch die Frage: Haben sich genügend Münchner an dem Bürgerentscheid beteiligt? Dabei ist es eine bunte politische Truppe, die sich da am Sonntagabend im alten Stemmerhof an der Plinganserstraße in Sendling trifft. Michael Piazolo, Landtagsabgeordneter der Freien Wähler aus Thalkirchen, plaudert kurz vor Schließung der Münchner Wahllokale freundschaftlich mit Markus Raschke von der ÖDP, der für die Kampagne "Raus aus der Steinkohle" mit verantwortlich ist. "Wir haben uns ja schon lange im Vorstand für den Bürgerentscheid ausgesprochen", sagt Piazolo. Die Abstimmung sei zwar nicht einstimmig gewesen, allerdings anschließend von der Basis eindeutig getragen worden.

Für den 59-Jährigen ist das breite Bündnis, das von Linken über ÖDP und Grüne bis hin zu Freien Wählern sowie Umweltorganisationen reicht, ein wichtiges Signal. "Die Menschen sehen, dass auch das bürgerliche Spektrum vertreten ist", so Piazolo. Von den Stadtratsgrünen ist zunächst Dominik Krause im Stemmerhof, um den Sieg zu feiern. Die Grünen hatten sich lange schwer getan, sich dem Bürgerentscheid anzuschließen. Erst im Sommer konnten sie sich dazu durchringen, die kleinere Umweltpartei ÖDP in ihrem Kampf um das vorzeitige Aus für das Steinkohlekraftwerk zu unterstützen. Auch Brigitte Wolf von den Linken ist da, ÖDP-Stadtrat Tobias Ruff und auch Vertreter von Umweltorganisationen. Der Kreis der Befürworter ist dennoch überschaubar. Etwa 50 Menschen drängen sich am Abend vor der Leinwand, auf der die Ergebnisse online erscheinen. "Es ist ein Zitterspiel", sagt um 18.45 Uhr Prudlo. Noch könnte der Entscheid trotz des deutlichen Vorsprungs der Kraftwerksgegner scheitern, weil womöglich nicht genügend Münchner zur Abstimmung gegangen sind.

Am frühen Nachmittag ist noch nicht abzusehen, ob überhaupt das nötige Quorum von zehn Prozent der Stimmberechtigten, immerhin fast 110 000 Münchner, erreicht werden würde. Nur vereinzelt treten Menschen aus dem alten Bau des Theresiengymnasiums ins Freie auf den Kaiser-Ludwig-Platz und spannen ihre Regenschirme auf. "Allez enfants", ruft ein Franzose seinen zwei Kindern zu. Er kommt gerade aus dem Wahlraum 201, auch EU-Bürger dürfen an diesem Sonntag darüber abstimmen, ob bis Ende 2022 das Steinkohlekraftwerk im Münchner Norden abgeschaltet werden soll. "Es ist gut, dass wir auch wählen dürfen", sagt der Mann. Schließlich gehe der Klimawandel alle an, und seiner Meinung nach ist das Heizkraftwerk ein Symbol für eine überholte Klimapolitik.

Damit steht er nicht allein, auch wenn die Wahlbeteiligung am Sonntag nicht gerade hoch ist. Viel los sei nicht, sagt ein Wahlhelfer in der Schule. Das Quorum von zehn Prozent werde wohl trotzdem erreicht, glaubt er. Die Wahlkabinen sind meist leer, mehr als ein Wähler auf einmal steht am frühen Nachmittag kaum hinter einer der Sichtblenden. Auch in anderen Abstimmungslokalen schütteln die ehrenamtlichen Helfer den Kopf. Ein Ansturm sei das nicht gewesen, sagt eine Frau, die in einem Wahllokal in Bogenhausen die Stimmzettel mit der Adresse überprüft.

Aber es reicht. Um 19 Uhr ruft Prudlo dann: "Der Trend ist nicht mehr zu brechen!" Der ehemalige Geschäftsführer von Green City Energy ist begeistert von dem Erfolg des Bündnisses. "Die großen Themen müssen wir auch künftig zusammen anpacken", sagt Prudlo. Beim Thema Verkehr müssten die Parteien und Organisationen, die sich für die Abschaltung von Block 2 des Heizkraftwerks Nord eingesetzt haben, "ein ähnlich großes Bündnis schließen". Er hofft, dass der Erfolg "ein Modell von morgen ist", Fraktionszwang hält er für "Quatsch". Nun müsse der Stadtrat als Gesellschafter schnell handeln. Auch Grünen-Stadtrat Dominik Krause sagt, "ich finde es wichtig, schnell zu handeln, die Entscheidung muss jetzt umgesetzt werden".

Für die Kraftwerksgegner ist das Ergebnis auf jeden Fall ein wichtiges Signal in Richtung Bonn, wo an diesem Montag der Klimagipfel beginnt. "Wir erwarten uns von Bonn, dass jetzt ein Aktionsplan zum Klimaschutz gestartet wird", sagt Prudlo. Man müsse nun bei der fossilen Verbrennung "den Deckel drauf machen". Sechzig Prozent der Münchner Wähler sehen das offenbar auch so. "Jeder einzelne von uns hat diesen Erfolg möglich gemacht", ruft Michael Schabl in die Menge.

Die Stadtratsmehrheit von SPD und CSU muss nun dem Wählerwillen folgen - auch wenn nur knapp 200 000 von 1,1 Millionen Münchner über die Zukunft des Kraftwerks abgestimmt haben.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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