Ausstellung:So voller Leben

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Statt unberührter Fassaden in hyperästhetisiertem Hochglanzdesign zeigt das Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne Städtefotografien aus der Mitte der Gesellschaft

Von Evelyn Vogel

Gewaltige Perspektiven, glänzende Oberflächen, perfektes Licht, ein leuchtend blauer Himmel wie aus dem Fotoshop - so sieht Architekturfotografie meist aus. Denn auch das beeindruckendste Gebäude will noch beeindruckender verkauft werden. Unberührte Architektur in hyperästhetisiertem Hochglanzdesign. Gegeben wird nichts weniger als ein Heilsversprechen. Seht her: So schön ist unsere gebaute Welt! Ausgeblendet wird, was diese Perfektion stört. Vor allem Menschen, die von der geradezu sakralen Anmutung des architektonischen Abziehbildes ablenken könnten. Dabei ist Architektur doch für Menschen gemacht. Für das Leben. Nicht für das Museum.

Um so beeindruckender ist das, was das Architekturmuseum der TU in der Pinakothek der Moderne nun in der Ausstellung mit dem Titel "Zoom! Architektur und Stadt im Bild" präsentiert. Architekturfotografie aus dem Leben heraus. Gebäude, die bewohnt, abgenutzt, verändert, erweitert, missbraucht sind - kurzum: gelebt und verlebt. Seht her: So schäbig ist unsere Welt. Und doch: so voller Leben. Denn es sind die Herausforderungen unserer Zeit, denen sich die Architektur stellen muss: Urbanisierung, Globalisierung, Migration, steigende Bevölkerungsdichte, Megacities und Verslumung von Großstädten, aber auch schrumpfende Städte, Verbrachung und Leerstände in Dörfern wegen zunehmender Landflucht. Die Architektur reagiert extrem gespalten. Da sind einerseits noch immer Bauherren wie Baumeister, die nicht von ihren Hochglanzvorstellungen in Stahl, Glas und Beton abweichen wollen und an den Bedürfnissen der Menschen vorbeibauen. Dem gegenüber steht Architektur, die sich an lokalen klimatischen und kulturellen Traditionen orientiert und meist sehr erfolgreich und nachhaltig moderne Architektur mit regionalen Materialien umsetzt.

Und wie ist es bei denen, die das gebaute Bild vermitteln? Wo der Auftraggeber anschafft, wird sich nur langsam etwas verändern. Doch die Sicht der Fotografen auf die gelebte Architektur ist zum Glück oft unabhängig von Bauherren, die ihren Palast im richtigen Licht erstrahlen lassen wollen. So hat das Architekturmuseum 18 international Fotografen eingeladen, ihre Sicht auf die Wechselbeziehung von Architektur und Gesellschaft vorzustellen. Darauf, wie der Mensch in politischer, ökonomischer, religiöser und sozialer Hinsicht mit Gebäuden auf verschiedenen Kontinenten und in unterschiedlichen Kulturkreisen umgeht.

Die Foto- und Videoarbeiten von Iwan Baan, Roman Bezjak, Peter Bialobrzeski, Lard Buurman, Stefan Canham und Rufina Wu, Nuno Cera, Livia Corona, Nicoló Degiorgos, Jörg Koopmann, Eva Leitolf, Ulricke Myrzik und Manfred Jarisch, Stefan Olàh, Julian Röder, Simona Rota, Andreas Seibert, Wolfgang Tillmans, Fabian Vogl und Tobias Zielony decken ein weites Feld ab, das von der Oberpfalz bis Nigeria, von Italien bis China reicht. Und sie zeigen, dass zeitgenössische Architekturfotografie auch als gesellschaftskritische Instanz funktionieren kann, als "Architektur ohne Architekten", wie der Leiter des Architekturmuseums, Andres Lepik, im Vorwort des Katalogs schreibt.

Herausragend in der Ausstellung - die voll ist von hervorragenden Arbeiten - ist die Video-Installation "Book for Architects" von Wolfgang Tillmans; eine Serie von 450 Aufnahmen von Alltagsarchitektur, entstanden in zehn Jahren in 37 Ländern auf fünf Kontinenten, die auf der Architekturbiennale 2014 vorgestellt worden war. Beschämend am Rande und bezeichnend für die maue Finanzsituation der Pinakothek: Hätte Tillmans nicht sein eigenes 4K-Equipment zur Verfügung gestellt, hätte man die Arbeit gar nicht zeigen können. Tobias Zielony ist mit dem Finger auf dem Fotokameraauslöser durch eine Sozialsiedlung gegangen und hat die Aufnahmen zu einem Film montiert. Fabian Vogl untersucht in seinen speziell für die Ausstellung entstandenen Videoarbeiten städtische Wahrnehmung und Raumerlebnis.

Von den vielen phantastischen Fotoarbeiten seien hervorgehoben: Die Serie von Iwan Baan über die Müllsammler in Kairo, Julian Röder, der mit seinen "Lagos Transformation", wie Baan an anderer Stelle, seinen Blick auf die nigerianische Megacity richtet, und Lard Buurman, der in seinen Vielfachüberblendungen afrikanisches Straßenleben in den Mittelpunkt stellt. Eine wundervolle Serie zum Thema Landflucht ist die von Myrzik/Jarisch aus dem Fichtelgebirge. Heiter bis deprimierend mutet die Heimat-Serie von Peter Bialobrzeski an, ebenso wie "Two Million Homes for Mexico" von Livia Corona, die Wiener Tankstellen von Stefan Oláh und die "Postcards from Europe" von Eva Leitolf.

Enttäuschte Träume und starke Sehnsüchte - man möchte gar nicht aufhören, diese architektur- und gesellschaftskritische Ausstellung anzusehen, weil sie so viel mehr erzählt, als jedes Hochglanzbild einer ach so schönen, neuen Bauwelt.

Zoom! Architektur und Stadt im Bild , Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, Di-So 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr, bis 21. Juni

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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