Ausschreibung verschoben :Wohin geht die Fahrt?

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Quelle: SZ Grafik (Foto: N/A)

Einen Wettbewerb um das Münchner S-Bahnnetz gibt es vorerst nicht. Bis 2032 setzt der Freistaat auf die Deutsche Bahn

Von Marco Völklein

Kann es wirklich sein, fragt einer in der Pressekonferenz den bayerischen Verkehrsminister, dass bis zum Jahr 2025 kaum Verbesserungen bei der Münchner S-Bahn geplant sind? Die Antwort verpackt Joachim Herrmann (CSU) in wohlklingende Worte. Im Grunde aber sagt er: ja. Ein paar reaktivierte alte S-Bahnen, ein paar Züge mehr am Freitagnachmittag, mehr sei nicht drin. Die Kapazität sei begrenzt, der bestehende S-Bahn-Tunnel in der Innenstadt ausgelastet. Erst wenn die geplante zweite Röhre Mitte des nächsten Jahrzehnts in Betrieb gehe, werde man das S-Bahn-Angebot sukzessive ausweiten. Fahrgastvertreter wollen das so nicht stehen lassen: Kleinere Ausbaumaßnahmen wie die Sendlinger Spange oder ein zusätzlicher Halt an der Poccistraße seien auch ohne zweiten Tunnel drin.

Doch darüber redet Herrmann an diesem Mittwochvormittag in seinem Ministerium nicht. Ihm geht es vielmehr um die langfristige Perspektive, um den Zeitplan für die Vergabe des S-Bahn-Netzes bis zum Beginn des übernächsten Jahrzehnts. Denn der Vertrag mit der Deutschen Bahn (DB) über den Betrieb der S-Bahn läuft zum Jahresende 2017 aus. Johann Niggl, Chef der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG), tüftelt mit seinen Leuten seit Monaten daran herum, wie der Vertrag neu ausgeschrieben werden soll. Die BEG plant und vergibt im Auftrag des Freistaats die Strecken im bayerischen Nahverkehr an die jeweiligen Betreiber. Seit Jahren verfolgt sie dabei eine konsequente Wettbewerbspolitik: Läuft ein Vertrag mit der DB aus, wird dieser europaweit ausgeschrieben. Eisenbahnbetreiber können sich dann darum bewerben. Deshalb bedient zum Beispiel die Bayerische Oberlandbahn (BOB) die Strecken nach Lenggries und Bayerischzell sowie - unter der Marke "Meridian" - die nach Rosenheim, Kufstein und Salzburg. Auch die S-Bahn München wollen Herrmann und Niggl in den Wettbewerb geben. Die Frage war nur: Was genau sollen sie da ausschreiben? Das heutige Netz mit seinen acht Linien und etwa 20 Millionen Zugkilometern? Oder das künftige Netz, das eines Tages mit dem Bau der geplanten zweiten Röhre möglich sein soll und auf dem dann 26 Millionen Zugkilometer gefahren werden sollen?

Herrmann und Niggl haben nun einen Drei-Stufen-Plan ausgearbeitet. In der ersten Stufe bleibt erst einmal alles weitgehend so, wie es ist. Voraussichtlich bis Ende diesen Jahres soll die BEG mit der DB einen Anschlussvertrag aushandeln, der von Ende 2017 an greift und bis zum Dezember 2019 laufen soll. Darin wird es allenfalls "punktuelle Fahrplanverbesserungen und vereinzelte Kapazitätserweiterungen" geben, wie Herrmann sagt. Eben jene paar Fahrten mehr am Freitagnachmittag oder weitere Züge der alten Baureihe ET 420.

Von Dezember 2019 an wollen Herrmann und Niggl dann den nächsten Schritt machen: Dann soll der "erste Münchner S-Bahn-Vertrag" abgeschlossen werden, der eine Laufzeit von "voraussichtlich" zwölf Jahren haben soll, wie Herrmann sagt. So genau könne er das noch nicht benennen, räumt der Minister ein - denn im Rahmen dieses Vertrags soll dann auch der geplante zweite S-Bahn-Tunnel eine Rolle spielen. Der soll, so sieht es Herrmanns Plan vor, bis zum Jahr 2025 in Betrieb genommen werden - sofern zuvor noch offene Fragen wie die Finanzierung des Drei-Milliarden-Euro-Baus geklärt wurden. In dem Vertrag wollen Herrmann und Niggl den neuen Betreiber unter anderem dazu verpflichten, die dann geplanten Express-S-Bahnen zu fahren. Man wolle, sagt Niggl, das "ein eingespieltes Team mit ausreichenden Erfahrungen" bereitsteht, sobald der Tunnel in Betrieb geht.

Geplant ist, das Netz in diesem Vertrag als Ganzes auszuschreiben. Das bedeutet, dass sich zwar Konkurrenten der DB darauf bewerben können, de facto allerdings wird wohl kaum ein Konkurrent die Finanzkraft mitbringen, um es mit dem Konzern aufzunehmen. Zumal geplant ist, dass während der Laufzeit ein neuer Fahrzeugtyp, ein Nachfolgemodell des aktuellen Triebwagens ET 423, entwickelt und gebaut wird. Die Zahl der S-Bahnen soll mit den neuen Wagen von derzeit 253 auf dann etwa 300 Triebwagen gesteigert werden, sagt Herrmann. Auch das kostet viel Geld. Niggl räumt daher offen ein, dass die DB bei diesem Vertrag "die Pool-Position haben wird". Erst vom Jahr 2032 an, wenn also der erste S-Bahn-Vertrag ausläuft und ein neuer Vertrag abgeschlossen werden soll, könnten nach Einschätzung von Marktkennern auch kleinere Wettbewerber zum Zuge kommen: Denn dann soll das Netz in Teillose aufgeteilt und in kleineren Portionen vergeben werden. Die Details dazu stünden aber noch nicht fest, sagt Niggl.

Beim Fahrgastverband Pro Bahn ernten Herrmann und Niggl mit diesem Fahrplan scharfe Kritik. "Mut- und perspektivlos" sei das alles, sagt Pro-Bahn-Sprecher Andreas Barth. Statt den Wettbewerb unter den Anbietern zu befeuern und so die DB unter Druck zu setzen, "begibt man sich in eine weitere Abhängigkeit zum zweiten Tunnel". Die Großstörung am Montag, als ein Oberleitungsschaden im S-Bahn-Tunnel das System aus dem Takt brachte, habe doch gezeigt, "dass die Qualität, die die DB abliefert, nicht stimmt", schimpft Barth. "Und dieses System soll einfach so fortgeschrieben werden?" Ganz anders wertet dagegen Bernhard Roos, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Herrmanns Fahrplan: "Wenn der Bahn der Betrieb nur bis 2020 zugesichert wird, wird sie den Teufel tun, in neue Wagengarnituren zu investieren." Der Konzern brauche Planungssicherheit bis weit über 2020 hinaus. Die Aktion Münchner Fahrgäste indes lobte die BEG: "Damit ist das weitere Vorgehen für alle Beteiligten klar."

Wobei eigentlich nur der zeitliche Rahmen steht, etliche Details müssen noch ausgehandelt werden. So will Niggl erreichen, dass die S-Bahn von Januar 2018 an im Qualitätsranking der BEG auftaucht: Dabei überprüfen Tester regelmäßig, wie pünktlich und sauber die Züge der jeweiligen Wettbewerber unterwegs sind. All das fließt in eine Rangliste ein - und diese setze die Eisenbahnen unter Druck, sagt Niggl. Als die BOB zum Beispiel vor einiger Zeit äußerst schlecht abschnitt und ein Sturm der Entrüstung im Oberland losbrach, setzten die BOB-Chefs alles daran, die Qualität zu verbessern. Eine Teilnahme der S-Bahn an dem System hatte die DB-Führung bislang stets verweigert. In den kommenden Monaten wird sich nun zeigen, ob Niggl seine Verhandlungsposition verbessert hat. Oder nicht.

© SZ vom 04.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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