Ausbau des Ganztagsunterrichts:Gewerkschaft kritisiert einseitige Schulpolitik

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Die GEW stört sich massiv an dem Fokus auf den Ganztag. Bei dessen Ausgestaltung gebe es zudem viele Defizite

Von Melanie Staudinger, München

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) übt massive Kritik an der Bildungspolitik der Stadt München. Konkret stört sich der GEW-Stadtverband an der Ausgestaltung des Ganztagsunterrichts. Generell sei es zu begrüßen, dass in der Landeshauptstadt viel Geld in die Ganztagsbetreuung investiert würde, sagt Gewerkschaftssprecher Alexander Lungmus. "Doch nicht alles, was von der Stadt vollmundig angepriesen wird, ist auch das Gelbe vom Ei", erklärt er. Vor allem moniert die Gewerkschaft, dass viele Maßnahmen wie das von Stadtschulrat Rainer Schweppe (SPD) propagierte Lernhauskonzept von oben aufgedrückt seien. Lehrer, Schüler und Eltern würden unzureichend in die Gestaltung des Schulalltags einbezogen. Das Referat für Bildung und Sport (RBS) weist die Vorwürfe zurück.

"Die notwendigen Faktoren zum Gelingen von Ganztagsschule sind in München noch lange nicht verwirklicht", sagt Lungmus. Zum einen sei es im gebundenen Ganztag, bei dem sich Unterricht und Erholungsphasen am Vormittag und am Nachmittag abwechseln, bisher nicht gelungen, eine Betreuung in den Ferien oder in den späten Nachmittagsstunden anzubieten. Lehrer müssten zwar immer mehr Stunden am Tag an der Schule bleiben, hätten aber kaum angemessene Arbeitsplätze. Im Mittelpunkt der Kritik stehen die städtischen Realschulen. Dort werden, so Lungmus, Schüler regelrecht zwangsbeglückt mit dem Ganztag, weil es in manchen Ausbildungsrichtungen kaum mehr Halbtagsklassen gibt.

Tatsächlich nimmt die Zahl der gebundenen Ganztagsklassen an den 20 städtischen Realschulen kontinuierlich zu. An zwei Einrichtungen, der Wilhelm-Röntgen-Realschule und der Ludwig-Thoma-Realschule, gibt es laut Bildungsreferat gemäß eines Stadtratsbeschlusses nur Ganztagsunterricht. Alle anderen Schulen bieten ihn freiwillig an. Von insgesamt 403 Klassen werden mittlerweile 172 im gebundenen Ganztag geführt. Das entspricht fast 43 Prozent. Im Schuljahr 2012/13 waren es noch 99 von 370 Klassen (26,7 Prozent). Bis zum Schuljahr 2018/19 sollen knapp zwei Drittel aller Schüler an städtischen Realschulen Ganztagsunterricht haben. Zahlen für das kommende Schuljahr gibt es noch nicht. Bei all dem Ausbau solle es aber weiter Halbtagsklassen geben. "Wir orientieren uns an dem Bedarf", sagt eine Sprecherin des Bildungsreferats.

Diese Aussage sieht die GEW als vorgeschoben an. "Die Stadt bevorzugt einseitig ihre Vorstellungen vom Ganztag", sagt Lungmus. In einem am Mittwoch veröffentlichten Positionspapier, das Lungmus gemeinsam mit Michael Hemberger, Arbeitskreisleiter für Realschulen beim Stadtvorstand, und Alfons Kunze, zuständig für Bildungsfinanzierung, verfasst hat, fordert die Gewerkschaft deshalb, dass Lehrer, Schüler und Eltern beim weiteren Ganztagsausbau sofort einbezogen werden müssten. "Solange das RBS an seiner Anordnungskultur festhält und die Lehrer, Schüler und Eltern nicht mit einbezieht, sondern stets vor vollendete Tatsachen stellt, wird es auch keine zufriedenstellende Ganztagsschule in München geben", steht in dem Papier.

Außerdem müsse an den Schulen das Personal aufgestockt und die räumliche Ausstattung verbessert werden. So benötigten Schüler Rückzugsräume und kleinere Klassen, wenn sie sich den ganzen Tag in der Schule aufhielten. Die GEW engagiert sich zudem dafür, dass jeder Lehrer einen eigenen Arbeitsplatz mit Computer- und Telefonanschluss bekommt. Auf Nachfrage der SZ erklärte eine Sprecherin des Bildungsreferats, dass diese Maßnahmen bereits in den neuen Standardraumprogrammen der Schulen enthalten seien und nach und nach umgesetzt würden.

Weiter sollen sowohl Mitarbeiter wie auch Schüler die Möglichkeit haben, ein hochwertiges Mittagessen zu erhalten, das auch eine Auswahl biete. Die Stadt solle zumindest versuchen, die Verpflegung zentral zu organisieren. Jetzt seien die Schulen oftmals schlicht überfordert. Als letzten Punkt fordert die Gewerkschaft das Bildungsreferat auf, sich auf alle städtischen Schulen zu fokussieren statt einzelne Einrichtungen als "Leuchtturmprojekte" hervorzuheben. Um die Arbeit der Schulen zu würdigen, die sich besonders für Partizipation und Lehrergesundheit engagieren, will die GEW auch einen eigenen Schulpreis einführen.

Große Hoffnungen setzt die Gewerkschaft in den personellen Wechsel an der Spitze des Bildungsreferats. SPD-Stadträtin und Mietervereinsvorsitzende Beatrix Zurek folgt auf Rainer Schweppe und wird die Leitung des Referats Anfang Juli übernehmen. "Frau Zurek ist sehr viel stärker Politikerin. Wir denken, dass sie den Dialog und die Zusammenarbeit mit uns besser pflegen wird", sagt Lungmus.

© SZ vom 19.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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