Archivar:Vom Unterschlupf bis zur Villa

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Seit zehn Jahren arbeitet Stefan Ritter, 44, als Archivar beim Alpenverein. Wenn er wandert, kehrt er gerne in der Reintalangerhütte im Wetterstein-Gebirge ein. (Foto: Lukas Barth)

Die Entwicklung der Hütten und Wege des DAV reicht zurück bis 1869 - Stefan Ritter kennt viele Einzelheiten

Interview von Tanja Schwarzenbach, München

Vom einfachen Unterschlupf zur Hütte des betuchten Großbürgertums - die Entwicklung der Hütten und Wege des Deutschen Alpenvereins (DAV) reicht zurück bis ins Jahr 1869. Stefan Ritter, Archivar des DAV, arbeitet die Hüttengeschichte derzeit für ein Buch auf, das im kommenden Jahr erscheinen soll.

SZ: Herr Ritter, wann gab es denn die ersten Hütten?

Stefan Ritter: Die erste war die Salmhütte am Großglockner. Fürstbischof Franz Xaver von Salm Reifferscheid ließ dort 1799 eine Unterkunft bauen, damit man den Berg hochsteigen, übernachten und dann weiterziehen konnte. 1855 entstand außerdem die Knorrhütte bei der Zugspitze, die in den 1870er Jahren die Sektion München des Alpenvereins kaufte. Der Verein hatte sich erst drei Jahr zuvor gegründet, mit dem Ziel, die Kenntnis von den Alpen zu erweitern und die Bereisung zu erleichtern.

Damit die Menschen die Möglichkeit hatten, Pause zu machen, zu übernachten . .

. Genau, das Problem war, dass es keine Zwischenstation vom Tal bis zum Berg gab. Die Leute mussten auf den Gipfel und wieder zurück, und deshalb begann man Hütten auf der halben Wegstrecke zu bauen.

Es war Ende des 19. Jahrhunderts vermutlich nicht gerade einfach, so hoch oben zu bauen. Wie ging man dabei vor?

Teilweise brachte man das Material mit einem Maultier hoch, zum Teil baute man die Hütten aber auch aus den Steinen, die man an Ort und Stelle vorgefunden hatte. Später wurde auch Holz verwendet. Die ersten Hütten waren noch relativ klein und nur etwa vier mal fünf Meter groß.

Das war dann wohl nur ein Unterschlupf?

Im Prinzip ja. Es waren Schutzhütten, die auch nicht bewirtschaftet waren. Sie hatten lediglich einen Ofen und es standen ein Tisch und bis zu sechs Pritschen darin. Es gingen dann aber immer mehr Leute in die Berge, die diese Schutzhütten nutzten. Deshalb wurden sie später vergrößert. 1880 und 1914, bis zum ersten Weltkrieg, gab es einen regelrechten Hüttenbauboom in allen drei Gebieten des Vereins, der ab 1873 Österreichisch-Deutscher Alpenverein hieß: in Österreich, Bayern und Südtirol. In dieser Zeit entstanden auch richtig tolle Hütten wie etwa die Berliner Hütte im Zillertal, bei der man das Gefühl hat, in einer Villa im Grunewald zu sein. Dort gab es ein Fotolabor, Speisesäle und extra Zimmer für die Vorstände der Sektion. Die Hütte ist vor etwa 20 Jahren unter Denkmalschutz gestellt worden und sehr sehenswert.

Sie sagten, die Hütten waren anfangs noch nicht bewirtschaftet?

Zunächst brachten die Einheimischen noch Lebensmittel oder Brennholz nach oben und die Bergsteiger mussten ins Kassenbuch eintragen, was sie verwendet hatten, und Geld hinlegen. Es galt das Prinzip der Freiwilligkeit, aber es erwies sich nicht als praktikabel. Manche zahlten zu wenig oder verwüsteten die Hütte. Deshalb setzte sich das System der bewirtschafteten Hütten durch, in denen jemand aufpasste und auch eine Mahlzeit anbot. Ursprünglich machten das die Bergführer, die als Einheimische zum Teil außerhalb der Hütten in eigenen, kargen Räumen übernachten mussten. Die Alpenvereinsmitglieder hingegen waren Großbürger aus ganz Deutschland, die in ausladenden Kleidern und Jankern den Berg erklommen. Es gab da eine Zeit lang ein Schichtdenken.

Was passierte während des Zweiten Weltkriegs mit den Hütten des Vereins?

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg konnten die österreichischen Hütten von Deutschland aus nicht besucht werden, weil die Spannungen zwischen den beiden Ländern ziemlich groß waren. Erich Kästner hat die 1000-Mark-Sperre in seinem Roman "Der kleine Grenzverkehr" schön geschildert: Man musste 1000 Reichsmark als Gebühr bezahlen, um nach Österreich hinübergehen zu dürfen.

Was sich nur wenige leisten konnten.

Genau. Als dann aber 1938 der Anschluss kam und Österreich zum Deutschen Reich gehörte, hatte sich das erledigt. Während des Kriegs konnten die Hütten zum Teil nicht mehr oder nur schwer bewirtschaftet werden. Außerdem nutzte sie das Militär für Schulungen der Gebirgsjäger. Es wurden keine Hütten zerstört, aber sie verfielen, weil man sie nicht pflegen konnte.

Der Verein hatte auch eine Nazi-Vergangenheit aufzuarbeiten.

1923 kam es zur Donaulandaffäre. Einzelne Sektionen des Alpenvereins hatten Arier-Paragrafen eingeführt, auch die Sektion Austria in Wien, die 1921 ihre jüdischen Mitglieder ausschloss. Diese gründeten daraufhin die Sektion Donauland, die vom Verband zwar erst mal anerkannt wurde, später aber auf Druck der Antisemiten aus dem Alpenverein ausgeschlossen wurde. Damit galt der Verband in der deutschen Öffentlichkeit als Nazi-Verein. Nach der Gleichschaltung 1938 wurde Arthur Seyß-Inquart, Reichsstatthalter in Österreich, Führer des Alpenvereins. Als Reichskommissar in den besetzten Niederlanden war er für die Deportation der Juden verantwortlich und wurde 1946 in Nürnberg als Kriegsverbrecher hingerichtet. Den Verein hatten die Alliierten ein Jahr zuvor verboten. Deshalb wurden auch alle deutschen Hütten in Österreich beschlagnahmt und erst Mitte der 1950er Jahre an den neu gegründeten Alpenverein zurückgegeben.

Es dauerte nicht lange, da rief der Alpenverein einen Erschließungsstopp aus.

Ja, im Jahr 1958. Von da an sollte es nur noch Ersatzhütten geben, wenn die anderen zu alt waren. Das kam nicht überraschend, weil es schon seit 1900 Diskussion darüber gab, ob der Alpenraum erschlossen genug sei. Heute kann es sogar vorkommen, dass nach einer Sanierung Schlafplätze wegfallen, da sich die Anforderungen an Komfort und Hygiene und auch die behördlichen Auflagen stark geändert haben.

© SZ vom 25.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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