Arbeitsunfähig:Falsche Zeit, falscher Ort

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Sie war auf der Suche nach einem besseren Leben, dann stürzte die Putzfrau in ein Loch

Von Anna Hoben

Nennen wir sie Fatima. Ihren richtigen Namen will sie nicht nennen, sie schämt sich für die Dinge, die ihr zugestoßen sind. Am Abend des 22. Juli 2016 ist sie in den Stachus-Passagen unterwegs, als Polizisten plötzlich die Passanten auffordern zu fliehen. Eine Massenpanik bricht aus, Menschen rennen durcheinander. Auch Fatima rennt, stolpert, stürzt. Ihr rechter Arm ist gebrochen. Zwei Wochen bleibt sie im Krankenhaus, zwei Narben am Ellbogen zeugen heute von der Operation. In ihrem Arm befindet sich immer noch Metall, es soll jetzt bald entfernt werden.

Zur falschen Zeit am falschen Ort, so sagt man, wenn jemandem unverschuldet etwas zustößt. Fatima ist im vergangenen Jahr zweimal am falschen Ort gewesen. Beide Ereignisse haben nichts miteinander zu tun, aber Fatimas Geschichte zeigt, wie manche Menschen gleich mehrfach Schicksalsschläge überstehen müssen.

Vor sieben Jahren ist sie nach Deutschland gekommen, auf der Suche nach einem besseren Leben. Ihre erwachsenen Kinder hat sie zurückgelassen in der Stadt Pasardschik in Bulgarien, wo die der türkischen Minderheit angehörende Familie lebt. Sie ist 53 Jahre alt, hat zwei Söhne, eine Tochter und fünf Enkelkinder. In ihrer Heimat gab es keine Arbeit für Fatima, also zog sie nach München. Sechs Jahre kam sie irgendwie über die Runden, als Putzkraft in der Kultureinrichtung "Import Export" verdiente sie ein wenig Geld. Anfangs schlief sie mal hier bei Bekannten, mal da; wenn gar nichts ging, auch auf der Straße. Vor zwei Jahren zog sie in ein Zimmer an der Dachauer Straße. Zehn Quadratmeter ohne Küche und mit Bad auf dem Flur, zunächst bezahlte sie 450 Euro, ein Jahr später schon 550 Euro. Die Möbel: ein klappriges Klappbett und ein Schrank, der fast auseinanderfiel.

Als Fatima sich den Arm bricht, brechen auch viele andere Probleme über sie herein. Wie die meisten Geschichten über Not ist ihre Geschichte vor allem auch eine über Geldnot. Sie ist nicht krankenversichert und kann die Rechnungen für Krankenhaus und Reha nicht bezahlen. Arbeiten kann sie erst einmal auch nicht mehr. Und als EU-Ausländerin hat sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Tuncay Acar, der ehemalige Betreiber des "Import Export", hilft ihr, sich durch den Dschungel aus Behördenbriefen und Rechnungen zu schlagen. So gelingt es, dass Fatima Unterstützung aus dem Soforthilfefonds der Stadt München für Opfer des Amoklaufs bekommt - und den Minimalsatz für Sozialleistungen vom Jobcenter.

Anfang November bricht in dem Haus an der Dachauer Straße ein verheerendes Feuer aus. Ein Mann und seine zwei Töchter sterben. Das Haus ist erst einmal unbewohnbar. Der Vermieter drängt Fatima, ein Papier zu unterschreiben, das den Mietvertrag auflöst. Das tut sie zunächst, nimmt ihr Einverständnis jedoch später mithilfe eines Anwalts zurück. Tuncay Acar sammelt Spenden, 3000 Euro, mit denen Fatima den Anwalt bezahlen kann. Der versucht, juristisch wegen Wuchers gegen den Vermieter vorzugehen. Doch der Oberstaatsanwalt will nicht anklagen. 55 Euro pro Quadratmeter für ein schäbig möbliertes Zimmerchen - kein Wucher in München, sagt er sinngemäß.

Fatima ist nun in einem Heim für Wohnungslose notdürftig untergebracht. Sie hat eine Sozialwohnung beantragt, Dringlichkeitsstufe eins. Sie besucht einen Deutschkurs, jeden Tag fünf Stunden. Ihren Traum von einem besseren Leben will sie nicht aufgeben. Sie ist nur im vergangenen Jahr zweimal ziemlich heftig herausgerissen worden.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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