Arbeitslose Filmvorführer:Abschied von der Rolle

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Die alten Projektoren sind ausgemustert, alle bayerischen Kinos haben inzwischen auf digitale Technik umgerüstet. Das Programm lässt sich nun einfach per Knopfdruck steuern

Von Christoph Farkas, München

Senfgelb und schwarz stehen sie beieinander: die Vergangenheit und die Gegenwart des Kinos. Im Vorführraum der Theatiner Filmkunst ruht schweigend ein analoger 35-Millimeter-Filmprojektor aus den Sechzigerjahren, dahinter summt sein digitaler Nachfolger vor sich hin. Der schwarze Kasten mit dem silbernen Lüftungsrohr, den blinkenden Knöpfen und angeschlossenem Computer wirkt wie ein Fremdkörper im analogen Hoheitsgebiet, wie ein Pixel auf einem Raffael-Gemälde.

Das Programmkino ist eines von 282 Kinos in Bayern. Seit einem halben Jahr sind auch die letzten mit digitalen Projektoren ausgerüstet. Die Umstellung in den deutschen Kinosälen hat lange auf sich warten lassen - ihre Finanzierung war jahrelang ebenso umstritten wie ihre Sinnhaftigkeit. Bis sich in den vergangenen fünf Jahren eine Dynamik entwickelte, die zur unumkehrbaren Wende führte.

Marlies Kirchner, die über 80 Jahre alte Inhaberin der Theatiner Filmkunst, hat dem Druck 2012 nachgegeben. Zu gerne wollte sie Olivier Assayas Film "Die wilde Zeit" in ihrem Kino spielen. Doch NFP, der deutsche Verleiher des Films, bot keine analogen Kopien des Films mehr an, sondern nur noch digitale. Weil auch viele andere Verleiher ihre Filme kaum noch auf Zelluloid zur Verfügung stellten, wurde es für Programmkinos immer schwerer, ein konkurrenzfähiges Angebot zu haben.

Generationswechsel im Vorführraum des Theatinerkinos: Der Computer hat den analogen Vorführapparat zur Seite gedrängt. (Foto: Stephan Rumpf)

Christian Pfeil, der mit seinem Kollegen Markus Eisele in München das Monopol und das Arena Filmtheater betreibt, sagt rückblickend: "Da hat uns die Industrie über unsere Köpfe hinweg eine Technologie aufgezwungen, die niemand gebraucht hätte. Bild- und Soundqualität waren ja vorher schon mehr als passabel." Ihren Ursprung hat die digitale Wende in der Gründung der "Digital Cinema Initiatives" (DCI) im März 2002 durch sieben amerikanische Groß-Studios; sie legten technische Standards für digitale Filme fest. Dadurch sei "ein ganz neuer Finanzkreislauf" in Gang gesetzt worden, sagt Pfeil, mit dem nun Milliarden umgesetzt werden.

Zum mancherorts erwarteten kinematografischen Kollaps - gerade im Segment der Programmkinos - hat die Digitalisierung allerdings nicht geführt. Noch 2010 warnte etwa die Zeitung Die Welt vor der "digitalen Bedrohung". Zwar haben viele Programmkinos die Umstellung lange hinausgezögert angesichts der bis zu 100 000 Euro teuren Geräte, doch schließlich mit Subventionen bewältigt. Dank der vielen Förderangebote sei die Digitalisierung "erstaunlich schnell und reibungslos" verlaufen, stellt Felix Bruder von der AG Kino fest, der Interessenvertretung deutscher Programmkinos. Viel einschneidender sei die anhaltende Bedrohung durch Multiplex-Kinos, die inzwischen zunehmend Arthouse-Filme spielen und so versuchen, den Programmkinos das Publikum wegzunehmen. Oder - wie in München - die gewaltigen Miet- und Pachtpreise in der Innenstadt, die in den vergangenen Jahren Kinos wie das Filmcasino oder das Atlantis vom Markt verdrängt haben.

Felix Bruder sagt auch, dass viele Programmkinos inzwischen von der Digitalisierung profitierten und zufrieden seien. "Das Programm ist flexibler, da der Versand der Festplatten oder Dateien viel schneller als mit den Filmrollen abläuft. Das heißt, mehr Filme können gespielt werden, mehr Vorführungen pro Tag angeboten werden." Das komme auch dem Publikum zugute.

Und Kinobetreiber Pfeil erfreut sich am Digitalbild in seinem Arena Filmtheater im Glockenbachviertel. Weil der Saal so klein und der Abstand zwischen Projektor und Leinwand so gering sei, sei das Bild mit analogen Projektoren nie richtig scharf geworden. "Ich hatte Tränen vor Schärfe in den Augen, als wir das erste Mal den digitalen Projektor angeschaltet haben, ein historischer Moment", sagt er und grinst. Viele Cineasten sehen die Digitalbilder dagegen skeptisch, sie seien zu grell, zu kalt, zu eindimensional. "Als wir hier die ersten digitalen Projektionen gemacht haben, dachte ich, ich kriege Augenkrebs, so überstrahlt war das. Alles war flau", berichtet Bernd Brehmer, einer der Vorführer in der Theatiner Filmkunst. Tatsächlich hat ein Versuch der Zürcher Hochschule der Künste ergeben, dass analoge Bilder eine deutlich höhere emotionale Bindung erzeugen. Das Publikum könne sich dagegen bei digitalen Bildern besser an Details erinnern. Eine weitere Folge der Digitalisierung ist das traurige Ende eines Traditionsberufs. Digitale Filme müssen nicht mehr umgespult, eingelegt, überblendet und ausgerichtet werden - der Filmvorführer wird überflüssig. Mit den neuen Geräten lässt sich das Programm für eine ganze Woche programmieren, es muss nur noch irgendjemand "Start" drücken. Einige Kinobetreiber organisieren ihre Vorführungen mittlerweile vom Smartphone aus.

Manche Kinos, wie die Theatiner Filmkunst, leisten sich die Vorführer weiterhin, aus Tradition. Sie wissen bei den spärlich terminierten Sonderveranstaltungen noch, wie man den 35-Millimeter-Apparat bedient. Sie schalten das Licht an und aus, öffnen und schließen den Vorhang und legen zwischen den Vorführungen Musik ein.

Und schließlich bedeutet die Digitalisierung auch das Ende altgedienter, robuster Analog-Projektoren. Viele Kinos wollten ihre Geräte verkaufen, nachdem sie überflüssig geworden waren. Das Problem war nur: Es fanden sich überhaupt keine Interessenten im Ausland, da Deutschland eines der letzten Länder war, in dem überhaupt noch analog Filme gezeigt wurden. So blieb oft nur der Schrottplatz. Wenige Kinos, in denen es der Platz hergab, behielten ihre plötzlich überflüssigen Projektoren. In der Theatiner Filmkunst wird der alte Projektor nur noch bei Sonderveranstaltungen gebraucht - oder wenn Marlies Kirchner Sehnsucht nach analogen Bildern bekommt.

© SZ vom 24.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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