Anstehende Bürgerentscheide:Sanfter Druck vom Rathaus

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Die Rathäuser von Freising und Aschheim verschicken neuerdings unaufgefordert Briefwahlunterlagen - um die Beteiligung an den Abstimmungen zu erhöhen

Von Kassian Stroh, München

Inhaltlich ist es direktdemokratisches Alltagsgeschäft, in beiden Fällen geht es um die Frage einer größeren Gewerbeansiedlung. Formal aber sind die Freisinger und die Aschheimer Pioniere, wenn sie am Sonntag ihren jeweiligen Bürgerentscheid abhalten. Als vor drei Wochen die Rathäuser die Wahlbenachrichtigungen an die Bürger verschickten, legten sie gleich auch noch einen Stimmzettel samt Rückumschlag dazu. Um die Briefwahl so einfach wie möglich zu machen. Eine Premiere - das gab es noch nie in Bayern.

Bisher musste, wer per Brief wählen wollte, ans Rathaus schreiben, dann bekam er den Stimmzettel zugeschickt. Warum nicht gleich beilegen, dachte man sich vor einigen Monaten im Würzburger Rathaus und fragte beim Innenministerium an, ob das denn rechtlich möglich wäre. Dieses bejahte, und als über den Städtetag die Kommunalpolitiker in Aschheim und Freising Wind davon bekamen, änderten sie flugs ihre Satzungen, um so verfahren zu können. Das offizielle Ziel: die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Aber nicht nur, weil das per se ein Ausweis guter Demokratie wäre. Sondern natürlich auch, um zu verhindern, dass kleine, gut mobilisierende Gruppen bessere Chancen haben, einen Entscheid zu gewinnen, als die womöglich schweigende, aber passive Mehrheit.

In Freising zum Beispiel geht es am Sonntag darum, ob sich ein großes Logistikunternehmen in einem städtischen Gewerbegebiet ansiedeln darf. Der Stadtrat ist mit großer Mehrheit dafür, den Protest dagegen haben verhältnismäßig wenige Anwohner organisiert. Oder Aschheim: Da geht es um den Bau eines neuen Groß-Schlachthofs. Bei einer derart emotionalen Frage ist es natürlich viel leichter, dagegen zu argumentieren, als Befürworter zu mobilisieren. Das neue Procedere jedenfalls scheint tatsächlich zu einer höheren Wahlbeteiligung zu führen: In Freising lag sie Mitte der Woche schon bei gut 30 Prozent, in Aschheim sogar bei 40 Prozent.

In die Wahllokale können am Sonntag natürlich auch noch Wähler kommen. Das ist eine der beiden Bedingungen, die das Innenministerium an das neue Procedere stellt: Auch herkömmliche Stimmabgabe muss möglich sein. Und die Kommune muss sicherstellen, dass niemand doppelt abstimmt. Deshalb müssen die Freisinger und Aschheimer neben dem Stimmzettel auch einen ausgefüllten Wahlschein einschicken - sodass ihr Name im Rathaus auf der Wählerliste durchgestrichen wird.

Einen "wesentlich höheren logistischen und personellen Aufwand" befürchten deshalb die Experten im Münchner Wahlamt. Weshalb sie die neue Abstimmungsvariante "eher skeptisch" sehen - auch wenn die im Münchner Rathaus noch gar nicht erörtert worden sei. Freising hingegen rechnet gar nicht mit Mehrkosten: Zwar ist der Versand der Unterlagen teuer, doch zugleich spart die Stadt bei Wahlhelfern und -lokalen. Gerade einmal vier haben in der 49 000-Einwohner-Stadt am Sonntag geöffnet.

Dort allerdings macht sich nun ein ganz spezielles Problem des neuen Vorgehens bemerkbar: Am Dienstag gab die Logistikfirma überraschend ihre Pläne auf. Sie wolle auch dann nicht nach Freising ziehen, wenn der Entscheid in ihrem Sinne ausginge - zu groß das Risiko, dass Klagen das Projekt verzögern könnten. Die Stadt hält an der Abstimmung aber fest, um grundsätzlich zu klären, was in dem Gewerbegebiet möglich ist. Formal entscheiden die Bürger auch nicht über die Firma, sondern über Vorgaben im Bebauungsplan. Tatsächlich aber haben jene 11 000 Bürger, die ihren Stimmzettel bereits eingeschickt haben, ihre Entscheidung bei einer ganz anderen Ausgangslage getroffen. Zurückholen können sie ihre Stimme nicht.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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