Ankommende Flüchtlinge:Am Anschlag

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In München tun alle Beteiligten ihr Möglichstes, um der großen Zahl der Flüchtlinge gerecht zu werden. Sie setzen auch auf Notlösungen

Von Thomas Anlauf, Dominik Hutter und Kassian Stroh, München

Vermutlich untertreibt Simone Hilgers noch: "Das ist eine extrem herausfordernde Situation", sagt die Sprecherin der Regierung von Oberbayern, "in einer Art und Weise, wie sie vorher noch nie da war." Es ist Dienstagabend, seit Mitternacht sind 2300 neue Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof angekommen. Und es werden noch mehr werden. Der letzte Zug in dieser Nacht, in dem vermutlich Flüchtlinge mitfahren, ist ein Meridian aus Salzburg, geplante Ankunft in München: 1.

30 Uhr. Durchschnittlich 700 Flüchtlinge - das waren bisher die Tages-Spitzenwerte für München. Nun arbeiten die Verantwortlichen am Anschlag: Polizisten schieben Sonderschichten, in der Regierung von Oberbayern gehen nachts um vier Uhr die E-Mails hin und her. Die Behörde ist für die Erstaufnahme aller Flüchtlinge in München zuständig und für die Unterbringung derer, die hier bleiben. Das führt sie an Grenzen. So verkündet sie am Dienstag, dass zwei weitere Notfallquartiere geöffnet werden. Zum einen wurden der Regierung kurzfristig 700 Plätze im Landkreis München angeboten, im Tenniscenter Keferloh in Grasbrunn im Landkreis München. Zum anderen lässt die Stadt München in die Turnhalle des Luisengymnasiums ganz in der Nähe Feldbetten stellen; dort soll laut Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle Platz für bis zu 500 Flüchtlinge sein. Nicht als Unterkunft, wie er erläutert, sondern als akute Hilfe. Damit sie nicht im Freien vor dem Hauptbahnhof warten müssen, damit sie ein Dach über dem Kopf haben und dort versorgt werden können, auch medizinisch.

Seit Montagabend ist der Münchner Hauptbahnhof ein anderer: Hunderte, ja Tausende Flüchtlinge kommen dort an.

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(Foto: Robert Haas)

Für Behörden und Helfer eine Herausforderung. Aber es ist eine Welle der Solidarität zu erleben.

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(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Polizei nimmt die Menschen in Empfang und...

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(Foto: Christof Stache/AFP)

...führt sie zur Registrierung in eine Nebenhalle.

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(Foto: Lennart Preis/Getty Images)

Da müssen alle einen kühlen Kopf bewahren.

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(Foto: Nicolas Armer/dpa)

Zahlreiche Flüchtlinge warten...

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(Foto: Christof Stache/AFP)

...auf ihren Weitertransport in eine der diversen Erstaufnahmeeinrichtungen.

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(Foto: Stephan Rumpf)

"Wir werden dafür sorgen, dass die Menschen, so lange sie in München sind, menschenwürdig behandelt werden", sagt Dieter Reiter.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Der Oberbürgermeister weiter: "Sie sollen sich als Menschen fühlen können."

Wie schon vor einem Monat, als sie ihr Ankunftszentrum im Euro-Industriepark wegen Überfüllung kurzzeitig schließen musste, ist die Bezirksregierung auf die Hilfe der Stadt angewiesen; wie damals hat sie auch diesmal ein "koordinierungsbedürftiges Ereignis" ausgerufen, die Vorstufe zum Katastrophenalarm. Die Hilfe ist im Sinne des Oberbürgermeisters: Dieter Reiter (SPD) schaut am Dienstag zweimal am Hauptbahnhof vorbei, er schimpft auf Ungarn, auf die anderen Staaten der Europäischen Union, die sich der gemeinsamen Herausforderung verweigerten. Doch vor allem verspricht er: "Wir werden dafür sorgen, dass die Menschen, so lange sie in München sind, menschenwürdig behandelt werden. Sie sollen sich als Menschen fühlen können." Man müsse dafür sorgen, dass die Drehscheibe München funktioniert. Und dass Flüchtlinge eben nicht "im Stehen übernachten" müssten vor dem Hauptbahnhof. Das sagt der Oberbürgermeister noch bevor die Wetterdienste ihre Gewitterwarnungen für den Abend herausgeben.

Die Regierung von Oberbayern setzt derweil noch auf zwei weitere Mechanismen, um die Situation mitten in der Stadt zu entspannen. Zum einen sollen andere Bundesländer Flüchtlinge aufnehmen, sie sollen direkt vom Hauptbahnhof dorthin geschickt werden. Die Verhandlungen führt das Sozialministerium, bis zum Abend haben Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen zugesagt, jeweils 200 Asylbewerber aufzunehmen. Zum anderen hat die Regierung Busse gechartert, um etwa 1000 Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen in den anderen bayerischen Regierungsbezirken zu bringen. Das hat sie auch schon in der Nacht auf Dienstag so gehandhabt, als binnen weniger Stunden 900 Flüchtlinge angekommen waren.

"Unser Ziel ist, die üblichen Abläufe aufrechtzuerhalten", sagt Hilgers am späten Nachmittag, als sich die Lage etwas entspannt: In den zuletzt angekommenen Zügen aus Österreich waren weniger Flüchtlinge. Übliche Abläufe? Was darunter fällt, ändert sich in München ständig.

Ursprünglich gab es eine Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne; weil die allein nicht reichte, wurde ihr ein Ankunftszentrum vorgeschaltet, erst in der Baierbrunner Straße, seit Juli im Euro-Industriepark. Dort werden Flüchtlinge registriert und medizinisch untersucht, womöglich bleiben sie eine Nacht - dann kommen sie in die zuständige Erstaufnahmeeinrichtung. Weil aber auch das nicht mehr reichte, wurde vor vier Wochen quasi ein vorgeschaltetes Vor-Ankunftszentrum am Hauptbahnhof eröffnet, um Flüchtlinge gar nicht erst in den Münchner Norden schicken zu müssen. Aber auch das war am Montag und Dienstag so überlaufen, dass auf dem Bahnhofsvorplatz Hunderte im Freien warteten. Zum "üblichen Ablauf" könnte sich der Ausnahmezustand entwickeln.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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