Andechser am Dom:Gier-Attacken auf Traditionslokale

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"Herausgeputzt" vom 8. Februar, "Zehn Millionen Halbe sind genug" vom 17. Januar und Leitartikel "Individualistenplage" vom 6. Februar:

Gewinnmaximierung

Kaum hat sich der Rauch um den "Franziskaner" verzogen, erfolgt die nächste Attacke auf ein Traditionslokal. Beim Franziskaner blies der Gegenwind der Öffentlichkeit einschließlich der Stadt München anscheinend doch zu stark, sodass er nun wohl bestehen bleiben darf. Nun muss der "Andechser am Dom" daran glauben und soll samt dem Gebäude, in dem er sich befindet, abgerissen und das ganze Areal mit einem Nachbargrundstück neu bebaut werden. Einmal mehr ist der Zweck der Aktion die Gewinnmaximierung des Eigentümers August von Finck. Eine Renovierung rechnet sich ökonomisch nicht. Herr von Finck ist 87 Jahre alt und mehrfacher Milliardär. Eine große Kette soll einziehen. Von sozialer Verantwortung ist keine Spur zu erkennen. Ich finde dieses Verhalten beschämend. Stephan Deisler, München

Heimatvertriebene

Ein Erfolg wird die vom FC Bayern München im Neubau des Barons von Finck geplante "Erlebniswelt" ganz sicher. Kein Wunder, denn schon die FCB-Erlebniswelt im fernen Fröttmaninger Stadion zieht bei mehr als 20 Euro Eintrittspreis Jahr für Jahr mehr als 400 000 Besucher an. Doch was bedeutet das für die Münchner Altstadt? Ganz einfach: Noch mehr Touristen und noch mehr Fußballfans. Als ob nicht jetzt schon mehr als genug Kurzurlauber die Innenstadt für den Einheimischen unerträglich machten! Da nützt es gar nichts, wenn der trickreiche Baron den Münchnern den Neubau mit etwas Sgraffito-Schischi schmackhaft macht. Das freut vielleicht Denkmalschützer und sonstige Bau-Ästheten, nicht aber den Münchner, der wie bisher im "Andechser Am Dom" sein gemütliches zweites Wohnzimmer hatte. Zur Gewinnmaximierung des Barons von Finck und des FC Bayern opfert man ein höchst lebendiges und kommunikatives Eck (wie es nicht mehr viele gibt) auf dem Altar der "Touristifizierung" der Stadt.

Was sich in der Münchner Innenstadt schon seit vielen Jahren abspielt, ist wie eine traurige Illustration des Ausverkaufs unserer Städte an die Touris, wie sie Jochen Temsch in seinem SZ-Leitartikel "Individualistenplage" trefflich analysiert hat. Der Einheimische mag schon gar nicht mehr in die Schwemme des "Hofbräuhauses" oder zum "Schneider im Tal" gehen, denn zu groß ist die Gefahr, an den gemäß bayerischer Wirtshaustradition großen Tischen plötzlich von einer Schar Asiaten umgeben zu sein. Diese haben meist nichts anderes im Sinn als die servierten Speisen und Getränke erst ausführlich zu fotografieren und dann die Bilder unter endlosem Gekichere in ihre Heimat zu übermitteln - bis das Bier ohne Schaum und das Essen kalt ist. Eine "Ansprach", die früher gelegentlich noch funktionierte, ist so unmöglich. Vor diesem Hintergrund ist das MVV-Ticket für die Innenstadt, das ich seit bald zehn Jahren abonniert habe, für mich immer sinnloser geworden. Ich werde es kündigen. Dr. Franz Sonnenberger, München

© SZ vom 15.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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