Alarmierende Zahlen:Die Rente reicht kaum noch zum Leben

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Mit einem Aktionstag macht Verdi auf Altersarmut aufmerksam

Von Jasmin Siebert

Brigitte Dinev ist 79 Jahre alt und sollte eigentlich ihren Ruhestand genießen. Doch zum Aktionstag gegen Altersarmut hat sich die pensionierte Verwaltungsangestellte einen weißen Kittel übergezogen und eine Haube mit rotem Kreuz aufgesetzt. Vor ihr auf dem Tisch steht eine Urne, darauf ein Tablett mit blauen Geleebohnen. Mit einer Pinzette greift sie eine Bohne und fragt ältere Passanten: "Möchten Sie eine Hinscheidepille?"

Am Samstagnachmittag haben die Verdi-Senioren gemeinsam mit der Verdi-Jugend einen Infostand am Karlsplatz aufgebaut, um auf das Problem der Armut hinzuweisen, in der sich in Deutschland viele Menschen im Alter wiederfinden werden, wenn die gesetzliche Rente nicht gestärkt und das Rentenniveau nicht angehoben wird. Es ärgert die Verdi-Gewerkschafter, dass der an sich erfreuliche Umstand, dass die Menschen hierzulande immer älter werden, zum Problemfall demografischer Wandel umgedeutet und als Argument benutzt wird, um das Rentenniveau zu senken. Aus diesen Überlegungen heraus ist Wilhelm Kling, Vorsitzender der Münchner Verdi-Senioren, auch auf das zynisch überspitzte Motto der Veranstaltung gekommen: "Nur ein toter Rentner ist ein guter Rentner."

Wilhelm Kling von den Verdi-Senioren kämpft im Skelettkostüm gegen Altersarmut. (Foto: Robert Haas)

Zum Aktionstag hat sich Kling ein Skelettkostüm übergezogen. Er betreut ehrenamtlich Senioren, die ihre Rente mit Grundsicherung ergänzen müssen. Arme alte Menschen sterben statistisch gesehen zehn Jahre früher und ihre Zahl steigt immer weiter. Während laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung vor zwei Jahren 16 Prozent der Rentner von Armut bedroht waren, wird es in 20 Jahren bereits jeder fünfte Neurentner sein. Am eigenen Beispiel rechnet Kling vor, wie wenig die Renten momentan an die Lebensumstände angepasst sind. Zum 1. Juli habe er eine Rentenerhöhung von 21 Euro erhalten. Zum gleichen Zeitpunkt habe die Gewofag seine Wohnungsmiete um 60 Euro erhöht.

Brigitte Dinev und Bettina Rödig bieten "sozialverträgliche Hinscheidepillen" an. (Foto: Robert Haas)

Weil das Problem der Altersarmut die heute junge Generation später einmal noch gravierender treffen wird als die jetzigen Rentner, sammelt die Verdi-Jugend Unterschriften für eine Verbesserung der Rente. Mit dabei ist Bettina Rödig. Die 25-Jährige arbeitet als Gesundheits- und Krankenpflegerin in einem städtischen Klinikum und verdient etwa 2500 Euro brutto. Mit dem Rentenrechner, einer Schablone ähnlich einer Parkscheibe, demonstriert sie, wie viel Rente sie einmal erwarten darf. Beim heutigen Rentenniveau von 47,9 Prozent würde sie nach 40 Jahren im Berufsleben 897 Euro Nettorente erhalten. Würde die Rente auf 43 Prozent sinken - das ist die bis zum Jahr 2030 beschlossene Untergrenze - bleiben ihr nur 806 Euro zum Leben. "Und dann ist es fraglich, ob man bei den schlechten Bedingungen in der Pflege die 40 Jahre schafft", ergänzt Rödig. Die Personaldecke sei so dünn, dass sie ständig einspringen müsse, wenn jemand krank wird. Die Überlastung wiederum führe dazu, dass man leichter krank werde oder eben irgendwann den Beruf wechsle. Auch die private Rentenvorsorge hält Rödig ganz im Sinne von Verdi für keine brauchbare Alternative: "Wie soll man gerade in so einer teuren Stadt wie München noch privat für die Rente sparen?"

Claudia Weber, Geschäftsführerin von Verdi München, betont: "Uns geht es darum, dass die gesetzliche Rente gestärkt und in den Vordergrund gerückt wird." Die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre lehnt Verdi ab. Stattdessen sollten Armutsrisiken besser ausgeglichen werden, sprich Zeiten, in den Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt werden, stärker berücksichtigt werden.

Um ihre Forderungen in die Politik zu bringen, veranstaltet Verdi am Mittwoch, 16. August, um 14 Uhr eine Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl im DGB-Haus an der Schwanthalerstraße 64. Angekündigt haben sich dazu Bundestagskandidaten von CSU, SPD, der Linken und den Grünen. Neben den Themen Wohnen, Pflege und Privatisierung soll es dabei auch um Renten und Rüstung gehen. "Rüstung runter - Renten rauf!" lautet auch eine Forderung auf einem Banner hinter dem Infostand.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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