Ärzte:Das Treffen der Aufschneider

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Keime, Kosten, Konkurrenten: Von Dienstag an kommen 5000 Chirurgen aus ganz Deutschland zum Kongress nach Riem

Von Stephan Handel, München

Wenn morgens die U 2 in Richtung Osten überfüllt ist und abends die in Richtung Innenstadt, wenn Tausende Anzugsträger aus dem U-Bahn-Tunnel herausrennen, als hätten sie Angst, etwas zu versäumen, ihre Aktenkoffer wie angeleinte Beweise ihrer Wichtigkeit - dann ist Messe draußen in Riem, Bauma oder Inhorgenta oder Ispo. Oder Kongress: Von diesem Dienstag an treffen sich 5000 Ärzte bei der alljährlichen Zusammenkunft der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie - das Treffen der Aufschneider sozusagen.

Der Kongress findet im jährlichen Wechsel in München und Berlin statt. Der diesjährige Präsident, Peter M. Vogt von der Medizinischen Hochschule in Hannover, hat ihm das Motto "Chirurgische Heilkunst im Wertewandel" gegeben, weil, wie er in seinem Grußwort für das Programmheft schreibt, "uns heute massive Herausforderungen begegnen, die schleichend den Kern unserer chirurgischen Selbstbestimmung erfassen und nicht ohne Folgen für unser chirurgisches Handeln bleiben werden". Damit könnte er nicht nur ethische Fragen meinen, die mit dem medizinischen Fortschritt in praktisch allen Disziplinen entstehen, zum Beispiel: Bis wann ist es sinnvoll und vertretbar, alte oder todkranke Patienten weiter zu behandeln, nur weil das technische Instrumentarium dafür zur Verfügung steht?

Daneben sieht sich die Chirurgie zunehmend von anderen Fachrichtungen bedrängt - Eingriffe, die früher exklusiv den Chirurgen vorbehalten waren, werden heute mit endoskopischen Techniken von Kardiologen, Internisten und anderen Fachärzten ausgeführt, was neben finanziellen auch moralische Fragen aufwirft: Darf der Chirurg einen Patienten in das Risiko einer offenen Operation drängen, wenn er weiß - oder wissen könnte -, dass der Kollege nebenan den gleichen Eingriff minimalinvasiv, also schonender anbietet? Bezeichnend, dass Vogt schreibt, es solle "den konservativen Verfahren eine besondere Gewichtung gegeben werden".

Der Kongress widmet sich diesem Thema in zahlreichen Diskussionen, Arbeitsgruppen und Workshops - ein spezielles Studenten-Programm soll den medizinischen Nachwuchs für die Chirurgie begeistern. Der kann etwa unter Anleitung erfahrener Ärzte bestimmte Operationstechniken lernen und ausprobieren. Für die "ausgelernten" Teilnehmer greift das Programm in die Zukunft, die so weit weg gar nicht mehr ist: Robotik im OP-Saal, das wird eines der nächsten großen Themen werden. Was dafür - und für viele andere Anforderungen im klinischen Alltag - erforderlich und auf dem Markt zu haben ist, das zeigen zahlreiche Medizin-Firmen auf umfangreichen Präsentationsflächen. Besagter Alltag mit seinen aktuellen Gefahren ist ebenfalls Thema des Kongresses: Am Thema Krankenhaus-Keime führt derzeit kein Weg vorbei, wenn mehr als drei Klinikärzte zusammenkommen.

Daneben sollen die Teilnehmer aber auch Zeit für Außermedizinisches haben: Das geht vom Gesellschaftsabend im Löwenbräu-Keller über Museums-Besichtigungen bis zum "Organspendenlauf" quer durch den Englischen Garten am 28. April. Daran können auch Nicht-Chirurgen teilnehmen, denen eines der derzeit drängendsten Probleme der Medizin ein Anliegen ist, der eklatante Mangel an Spenderorganen.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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