Abschied von einem Freund:Sinn und Lebendigkeit

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Aus der Trauerrede von Giovanni di Lorenzo

Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der Zeit, war ein guter Freund von Helmut Dietl und begleitete ihn bis zuletzt. Dies ist ein gekürzter Auszug aus der Rede, die er bei der Trauerfeier hielt:

"So unterschiedlich unsere Motive sind, heute hier zu sein, und so verschieden unsere Erinnerungen an Helmut sind, es gibt etwas, was wir alle gemeinsam haben: Jetzt, da Helmut nicht mehr bei uns ist, werden wir zu Zeugen. Wir werden von nun an immer wieder mit der Frage konfrontiert sein: Wer war er? Wie war er? Das ist das Los aller Hinterbliebenen. Und manchmal findet man im Erzählen auch etwas Trost.

Die Antworten allerdings werden so verschieden sein, wie sie nur sein können. Wenn ich an Helmut denke, dann fallen mir tausend Begebenheiten ein - seitdem er tot ist noch mehr als vorher. Aber mehr als alles andere ist es ein Eindruck, der über all die Jahre geblieben ist: Das Traurige in ihm, vor allem in seinem Blick, mit Worten hat Helmut dieses Gefühl ganz gut verstecken können.

Sie werden jetzt denken, was ist das für ein Einstieg! Als ob der Tod nicht schon traurig genug ist, kommt der auch noch mit dem traurigen Leben! Aber ich erwähne das, weil mir nie eingeleuchtet hat, warum man bei Trauerfeiern das Schwierige weglassen soll. Und vor allem, weil Sie merken werden, dass Helmut aus dem Traurigen etwas ganz Großartiges gemacht hat.

(. . .)

Nachdem er vor anderthalb Jahren seine Diagnose erhalten hatte, die ein Todesurteil war, hat Helmut etwas gezeigt, was hoffentlich für uns alle bleiben wird: Würde, Größe und bis in die letzten Stunden vor seinem Tod immer wieder Humor. Wir hatten Jahre lang nicht mehr miteinander gesprochen, als sein Anruf kam, ob wir sprechen könnten, er sei sehr krank. Und dann erzählte er mir in der Münchner Ainmillerstraße schonungslos, wie er es immer getan hat, wenn es um ihn selbst ging, alle Details seines Leidens. Als wir fertig waren, standen wir auf, schalteten alle Lichter aus in seiner Wohnung, Helmut kramte nach den Schlüsseln und das letzte, was er sagte war: "Krebs, das hat mir gerade noch gefehlt." Selbst als sein Zustand sich vor zwei Wochen so verschlechterte, dass eine Palliativärztin ihm ein richtiges Krankenbett und einen Nachtstuhl nahelegen wollte, entfuhr ihm noch der Satz "Klinikrequisiten kommen mir hier nicht ins Haus!" Die Ärztin und alle anderen, die dabei waren, mussten lachen. Helmut Dietl hat vor seinem Tod ein einziges Mal ausführlich über seine Krankheit sprechen wollen. Das sollte ihn vor Indiskretionen und Sensationsmeldungen schützen. Das Gespräch ist nicht nur die Beschreibung seiner tödlichen Krankheit, sondern auch eine Lebensbilanz geworden. Und die Veröffentlichung löste etwas aus, was Helmut Dietl möglicherweise auch beabsichtigt, sich zumindest aber gewünscht hatte: Er wurde plötzlich umspült von einer Welle der Anteilnahme und Anerkennung, die er zuletzt so schmerzlich vermisst hatte.

Helmut hatte brutal unter der Kritik und Häme gelitten, mit der vor allem sein letzter Film kaputt gemacht worden war. Er hat sich dagegen in keiner Weise schützen können. Wie denn auch? Wie kann sich ein Künstler dagegen schützen?

Er hat die Kritik zu persönlich genommen. Denn er musste das erfahren, was heute jeder erfährt, der sich an die Öffentlichkeit wagt und einen echten oder auch nur einen vermeintlichen Fehler begeht: eine Maß- und Gnadenlosigkeit, die seine Filme und Fernsehserien nie gekannt haben. Sie wären bei ihm auch gar nicht vorstellbar gewesen. Die meisten von ihnen spielten nämlich in einer Zeit, die permissiver, großzügiger und deswegen auch lustiger war als die heutige. Man kann sich nur wünschen, dass diese Zeit der heuchlerischen Strenge bald wieder vorbeigeht. Helmut hat die Feindseligkeit gegenüber seinem "Zettl" nicht als Grund, aber doch als möglichen Tipping-Point für den Ausbruch seiner Krankheit gesehen.

(. . .)

Als er merkte, dass der Tod nunmehr nah war, hat er in seiner Wohnung Abschied genommen von seinen Kindern und von Tamara, die die größte Hilfe gewesen ist, die man sich in der Stunde des Leidens nur vorstellen kann. Dann hat Helmut loslassen können.

(. . .)

Da riss der Himmel auf, die Sonne tauchte das Zimmer in warmes Licht, die Glocken der Ursula-Kirche läuteten, es war 14 Uhr. Es kann keinen Zweifel geben: Helmut hatte da genau Regie geführt. Jahrzehntelang hat er seine Traurigkeit bekämpft, mit Drogen, Schlafmitteln und Antidepressiva. Und trotz all dieser Handicaps hat er dem Leben das Beste abgerungen, was nur irgendwie ging, privat und beruflich: das Glück eines erfüllten Lebens, indem er ihm Sinn und immer wieder Lebendigkeit gegeben hat." (. . .)

© SZ vom 13.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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