Lilo Fürst-Ramdohr:Die Überlebende der "Weißen Rose"

Lilo Fürst-Ramdohr ist über alle Untergrund-Aktionen der Weißen Rose informiert gewesen. Heute ist sie 96 Jahre alt und blickt zurück auf die Zeit des Widerstands, die Wochen im Gefängnis und den Tod ihrer Freunde.

Sabine Bader

Es hagelt Bomben auf München, Lilo läuft mit den anderen Hausbewohnern in den Keller. Oben, in ihrer Wohnung, liegen zwei Schachteln aus Wellpappe, fest verklebt. Darin sind Flugblätter, "die geheime Post". So nennen die Mitglieder der Weißen Rose ihre Botschaften. Anfangs hatten sie die Kartons im Keller versteckt, doch jetzt, da die Fliegerangriffe häufiger werden und immer mehr Menschen von der Straße im Untergrund Zuflucht suchen, wird das zu gefährlich.

Lilo Fürst-Ramdohr: Auch wenn Lilo Fürst-Ramdohr keine Aktivistin war, so war sie dennoch voll akzeptiert von den Mitgliedern der Weißen Rose.

Auch wenn Lilo Fürst-Ramdohr keine Aktivistin war, so war sie dennoch voll akzeptiert von den Mitgliedern der Weißen Rose.

(Foto: STA)

Es ist Spätherbst 1942. Alexander Schmorell - Alex, wie Lilo ihn nennt - kennt sie zu diesem Zeitpunkt gut ein Jahr. Sie lernt ihn im Oktober 1941 im privaten Münchner Zeichenstudio von Heinrich König kennen. Alex ist der Neue. Hochgewachsen, strahlender Blick, leicht verlegenes Lächeln. "Solche Augen lassen den Krieg vergessen", wird Lilo später über diese erste Begegnung notieren. Sie freunden sich an. Über ihn lernt Lilo auch Hans Scholl, Christoph Probst und Willi Graf kennen.

Heute ist Lilo Fürst-Ramdohr 96 Jahre alt. Sie lebt in einer kleinen Wohnung in Starnberg, seit 50 Jahren. Auf dem Beistelltisch im Wohnzimmer, das beinahe zur Gänze von einem riesigen Flügel eingenommen wird, steht Alex' Foto im Silberrahmen. "Ich mach' Ihnen erst mal Kaffee", sagt sie und erhebt sich. "Wissen Sie, 96, das ist nichts mehr. Die Beine machen Ärger und die Augen lassen nach. Wenigstens ist mit dem Geist alles soweit klar." Bis zu ihrem 86. Lebensjahr hat sie noch private Gymnastikstunden gegeben, ist gern im Starnberger See geschwommen.

"Und geschrieben habe ich eigentlich immer": Gedichte, Märchen und einen noch unveröffentlichten Roman. Auf der kleinen Chaiselongue liegen stapelweise Manuskripte - obenauf die Neuauflage ihres seit vielen Jahren vergriffenen Buchs "Freundschaften in der Weißen Rose", die in Kürze erscheinen soll, mit einem Vorwort und Erläuterungen ihres Enkels. Auch das Malen hat Lilo Fürst-Ramdohr nie aufgegeben. An den Wänden hängen dicht an dicht Aquarelle und Ölbilder.

"Auch Alexander liebte die Kunst", erzählt sie, "und er war begeistert vom Leben." Sein Medizinstudium setzt der damals 25-Jährige ohnehin nur noch fort, um nicht gleich an die Front zu müssen. Er will Bildhauer werden. Es ist Februar 1942, als Alexander in Lilos Wohnung erstmals und sehr leise, so, als sei es ihm selbst nicht geheuer, von passivem Widerstand spricht und davon, dass der Anfang gemacht sei.

Lilo bekommt es mit der Angst zu tun. "Halt dich da raus", rät sie ihm. Doch Alexander will nicht mehr tatenlos sein. Auch wenn er sich zu diesem Zeitpunkt mehr denn je seiner russischen Mutter zugehörig fühlt, ist ihm der Nazi-Terror ebenso unerträglich geworden wie seinen Freunden.

Im Juli 1942 wird er eingezogen, muss als Sanitäter gemeinsam mit Hans Scholl an die Ostfront. "Ich werde Russland wiedersehen, Lilo", sagt er zum Abschied. Zum Wintersemester will er wieder in München sein. Während seiner Abwesenheit besucht Lilo den Regisseur Falk Harnack, ihren Freund aus Jugendtagen, der sich in Berlin ebenfalls im Widerstand engagiert, erzählt ihm von den Münchner Freunden und der Weißen Rose, knüpft so das Band zwischen beiden Gruppen. Später werden sich Scholl und Schmorell mehrmals mit Harnack treffen und Aktionen abstimmen.

"Freiheit! Freiheit! Freiheit!"

Doch zurück ins Jahr 1942. Es ist Weihnachtszeit. Alex läuft die Treppe zu Lilos Wohnung hinauf. In seinem Rucksack hat er eine große, in graues Papier eingeschlagene Rolle, breitet alles auf dem Wohnzimmerboden aus. Zum Vorschein kommen Bögen mit Buchstaben - jeder fast einen Meter hoch. "Schablonen", sagt Alex und macht sich daran, sie auszuschneiden. Mit ihnen werden er, Hans Scholl und Willi Graf in der Nacht zum 9. Februar 1943 Parolen an öffentliche Gebäude schreiben - darunter auch an die Feldherrnhalle und an die Universität. Morgens ist in riesigen Lettern zu lesen: "Nieder mit Hitler! - Hitler der Massenmörder. - Freiheit! Freiheit! Freiheit!" Die Stadt ist in heller Aufregung, in den Geschäften tuscheln die Menschen. Auch innerhalb der Weiße Rose ist die Aktion umstritten.

"Zu diesem Zeitpunkt hat man mich über so ziemlich alle Untergrundaktionen informiert - auch wenn ich selbst an der Verteilung der Flugblätter nie beteiligt war. Ich war trotzdem voll akzeptiert in der Weißen Rose", sagt Lilo Fürst-Ramdohr. Ihre Gedanken wandern zurück ins Jahr 1943: Das fünfte Flugblatt, der "Aufruf an alle Deutschen", ist fertig und wird verteilt. Alex spricht erstmals von Flucht, will außen an einer Lok in Richtung Schweiz.

Am 11. Februar verbrennt er im Keller von Lilos Haus sein Soldbuch und seine Uniform. Lilo wird klar: Für Alex gibt es keinen Weg mehr zurück. Er wird gehen. Einige Tage später bringt er seine letzten Zeichnungen zu ihr. Sie reden über die waghalsige Idee, Flugblätter in der Uni abzuwerfen. Die Aktion steigt am 18. Februar, Lilo bleibt auf Alex' Bitte hin zu Hause. Gegen Mittag rast er die Treppe herauf. Die Gestapo sei überall, sagt er, an der Uni, am Haus seiner Eltern. Alex versteckt sich fortan bei Lilo. Die macht sich auf, um von einer Buchbinderin einen bulgarischen Pass mit Alexanders Foto und einem einigermaßen echt wirkenden Stempel versehen zu lassen.

Am 19. Februar 1943 um 10 Uhr wollen er und Willi Graf sich am Starnberger Bahnhof in München treffen und fliehen. Lilo wartet in einiger Entfernung. Doch Willi kommt nicht. Die Flucht platzt und die Fahndung nach Alex läuft an, da er morgens dem Appell der Studentenkompanie ferngeblieben war. Sein Konterfei ist im Völkischen Beobachter abgedruckt, 1000 Reichsmark Belohnung stehen auf seine Ergreifung. Während nachts Bomben auf München fallen und Lilo im Keller sitzt, muss er oben in ihrer Wohnung bleiben, sein Gesicht ist mittlerweile zu bekannt.

Alex kann Willi Graf nirgends finden, er beschließt, alleine zu fliehen. Zum Abschied sagt er zu Lilo: "Ich bin ganz froh, dass es so gekommen ist - etwas musste sich ja mal in meinem Leben ändern." Ein Satz, den sie bis heute nicht versteht. Lilo warnt Harnack, schickt ihm ein Telegramm mit dem Satz: "Freunde an der Front gefallen."

Die Stationen von Schmorells Flucht kann Lilo später nur mühsam rekonstruieren: Er flieht nach Schloss Elmau, wird verraten, will in die Schweiz, versteckt sich bei einem russischen Kutscher, wegen dichten Schneetreibens kann er nicht über die Berge. Erschöpft kehrt er nach München zurück, versteckt sich auf dem Dachboden der Kunstschule König, versucht es dann bei einer Kommilitonin, die keinerlei Verbindung mit der Weißen Rose hat. Diese ruft den Blockwart, der verständigt die Gestapo, die Alex abführt und ins Wittelsbacher Palais bringt.

Am 2. März wird auch Lilo in ihrer Wohnung verhaftet. Von ihrer Zelle im Wittelsbacher Palais hört sie aus der gegenüberliegenden Konzerthalle Bruckners Neunte. Ein Mittelsmann sagt ihr: Alex befinde sich einen Stock höher. Doch einen Tag später sind die Schritte oben verstummt. Alex ist weg. Die Verhöre von Lilo ziehen sich hin. Mitte März wird sie überraschend freigelassen. Wieso, weiß sie nicht.

Falk Harnack ist es, der Alexander Schmorell vor seiner Hinrichtung am 13. Juli 1943 noch einmal in Stadelheim sprechen kann. Zu ihm sagt Schmorell: "Grüß Lilo von mir. Ich habe viel an sie gedacht."

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