TV-Kritik: Stuckrad Late Night:"Friedman? Ein Riesenapfel!"

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Benjamin von Stuckrad-Barre startet seine Late-Night-Show. Mit dabei: Thilo Sarrazin, lallende Muttersöhnchen und ein paar abgestandene Schwulenwitze.

Marc Felix Serrao

Am Anfang steht ein Bekenntnis. Er habe Angst, sagt Benjamin von Stuckrad-Barre. Angst vor dem Winter. Vor dem Terror. Den Chinesen. Und vor der neuen Sendung natürlich. An diesem Donnerstag lief die Premiere von Stuckrad Late Night um 22:30 auf ZDF Neo, dem jungen Digitalsender, mit dem das Zweite ein Publikum erreichen will, das ihm im Hauptprogramm abhandengekommen ist.

Eine Late-Night-Show für den Journalisten und Popautoren Benjamin von Stuckrad-Barre. (Foto: dapd)

Benjamin von Stuckrad-Barre, 35, als Gastgeber, gemeinsam mit Christian Ulmen, 35, als Produzent: Das klingt erst mal gut. Der eine hat ein schönes und amüsantes Buch über Liebeskummer und später viele gelungene Porträts und Reportagen geschrieben. Der andere hat im deutschen Fernsehen mehr riskiert als die meisten und dabei oft sehr verschrobene Komik gezaubert. Dazu kommt die Spielwiese Spartenkanal, mit Quoten knapp über der Wahrnehmungsschwelle. Wo, wenn nicht hier, denkt man. Wer, wenn nicht diese Typen?

Vermutlich haben sich Stuckrad-Barre und Ulmen das auch gedacht - und sehr, sehr viel von dem, was ihnen einfiel, in die Show gepackt.

Thilo Sarrazin, zum Beispiel. Ihn begrüßt der Moderator als "alten Freund". Die beiden hatten schon vor Monaten zusammen eine Pilotfolge gedreht. Im September wurden dann ein paar Auszüge bekannt: Moderator und Gast spielten "Wer bin ich?", und Sarrazin pappte Stuckrad-Barre den Namen "Goebbels" auf die Stirn. Die Aufregung war da, und sie funktionierte ganz im Sinne ihrer Erfinder. Das wird ja wild, freuten sich viele. Es wurde auch wild, aber anders.

Sarrazin ist bei der Premiere der einzige Gast, doch das Drumherum ist dermaßen hektisch, dass an ein echtes Gespräch oder an ein lustiges, nicht zu denken ist. Stuckrad-Barre ist ein eher zappeliger Typ. Hier wirkt er wie ein Gastgeber, der auf der eigenen Party vor lauter Ehrgeiz, Anspannung und herbeigeredeter Stimmung vergisst, was jeden Spaß kaputt kriegt: Stress.

Ein bisschen wirkt er, als müsste er Strichlisten abhaken: Hier ich, der Moderator, ängstlich, aber engagiert. Oben in der Loge meine Sidekicks, mit "400 Jahren politischem Sachverstand", die ab und zu etwas reinrufen. Geföhnter Salonlöwe (Hajo Schumacher) trifft pensionierten Preußen (Jörg Schönbohm); einer eher links, einer eher rechts, irgendwie repräsentativ also.

Dann die Politik, Der Spiegel: Das Wut-Interview mit FDP-Mann Wolfgang Kubicki über dessen eigene Partei. Uwe Wöllner, Christian Ulmens unterbelichtete Lieblingskunstfigur, fragt: "Was ist ein Kubicki?" Magische Würfelkubickis und der Regisseur Stanley Kubicki, erklärt er lallend. Nächste Frage: Steht die FDP heute so mies da wie die DDR vor der Wende? Stuckrad-Barre hängt Bilder zum Vergleich auf. Wahlerfolge, Hymnen, dann die "First Ladies". Auf der FDP-Seite erscheint ein Foto des Lebensgefährten von Außenminister Guido Westerwelle, "Michi Mronz". Es folgt ein fiktiver Hauptstadtreporter, der "im Café Einstein wohnt" und so gut vernetzt ist, dass seine "Storys" weggehen wie "warme Westerwellen".

Vermutlich soll das alles frech wirken. Nach dem Motto: Wo alles anders und subversiv ist, da darf man auch mal schwitzig rumdiskriminieren und Witze über Schwule reißen.

Das eigentliche Gespräch mit dem knorrigen Nationalstatistiker Sarrazin fällt dann leider recht mau aus. Bis auf ein paar Schnoddrigkeiten bleibt nichts hängen. Irgendwann soll er sagen, wen er mag und wen nicht. "Sagen Sie einfach Apfel statt Arschloch", schlägt Stuckrad-Barre vor und zeigt wieder Fotos. Als Michel Friedman an der Reihe ist, legt Sarrazin los. "Oberapfel", nein, "Riesenapfel!" Die beiden Herren hatten im Spätsommer der Erregung über Sarrazins Bestseller Deutschland schafft sich ab eine kurze, aber heftige Auseinandersetzung in Springers bunten Blättern. Und Stuckrad-Barre freut sich sichtlich, nun einen kleinen Wurmfortsatz servieren zu können.

In Stuckrad Late Night, schrieb die taz schon vor der Premiere, "tut der beinah vergessene Autor Stuckrad-Barre das, was gute Journalisten tun sollten: Er hört zu und stellt Fragen." Das waren gleich zwei Fehler in einem Satz. Erstens: Dieser Showmaster hat kaum zugehört, zumindest nicht in seiner Premiere. Er hat die meiste Zeit selbst geredet. Und dabei noch das einfachste Fernsehhandwerk vergessen. Etwa, dass es blöd aussieht, wenn ein Moderator beim Reden sekundenlang an der Kamera vorbei nach unten guckt, immer wieder. Zweitens: Stuckrad-Barre ist kein fast vergessener Autor. Im Gegenteil, er ist einer der besten Schreiber, die wir haben. Er hat nur zu Recht Angst, ein bald wieder vergessener Moderator zu sein.

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