TV-Experiment "Newtopia":Nachts in der Scheune

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Fake-Skandal bei "Newtopia"? Seit den versehentlich übertragenen Äußerungen einer Producerin kämpft Sat1 um die Glaubwürdigkeit der Sendung. Die Produktionsfirma zieht Konsequenzen.

Von Julia Weigl, Karoline Meta Beisel, Claudia Tieschky

Am Montag standen hier noch zwei junge Frauen, auf irre hohen Schuhen und mit Hüten, die aus Puppenkörpern gebastelt waren: aus Armen, Beinen und dicken roten Plüsch-Lippen. John de Mols Produktionsfirma Talpa bewirbt auf der Fernsehmesse MipTV in Cannes ein Showformat namens The Puppet Show. Darin wird der beste Puppenspieler gekürt.

An Tag zwei der Messe sind die Damen verschwunden. Kann sein, dass Talpa das Format schon in genug Länder verkauft hat. Vielleicht ist es auch kein guter Zeitpunkt dafür, sich mit Puppenspielern zu brüsten. In Deutschland steht seit Montag der Verdacht im Raum, dass auch die Teilnehmer der Talpa-Produktion Newtopia (Sat 1) wie Puppen gesteuert worden sein könnten, während sie angeblich vollkommen auf sich allein gestellt auf einem Acker in Königs Wusterhausen eine neue Gesellschaft aufbauen.

Abgesang auf das Kommerzfernsehen

Das Erstaunliche: Richtig empört ist in Cannes niemand über die Geschichte. Es wird sogar gemunkelt, es könne sich um einen PR-Stunt handeln. Im deutschsprachigen Netz ist die Tendenz zwar empört, aber auch nicht wesentlich anders. Unter #faketopia läuft eine Art Abgesang auf das Kommerzfernsehen, Tenor: Warum die Aufregung, wer glaube, dass Reality TV mit Realität zu tun habe, sei selber schuld.

Möglich. Aber im Fall von Talpa und Newtopia liegt die Sache anders. Die Produktion muss sich daran messen lassen, was sie selbst versprochen hat. Stets rühmte Talpa, dass alles echt sei.

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Dagegen spricht nun, dass eine Producerin in der Nacht auf Montag in der Scheune von Königs Wusterhausen den Kandidaten erklärte, dass es "immer wieder Wünsche" an sie gebe, täglich telefoniere sie mit Produzent John de Mol. Bei dem seltsamen Treffen waren die Kameras aus, allerdings lief eine Webcam mit und übertrug.

Seither ist man bei Talpa und Sat 1 um Aufklärung bemüht und um die Vermeidung eines Fake-Skandals. Talpa erklärte am Montag, "die 15 Pioniere in Newtopia sind vollständig selbst dafür verantwortlich, wie sie ihr Leben gestalten". Kontakt mit der Produktion finde nur "äußerst reduziert" statt, teilte Sat 1 mit - beispielsweise bei Fragen der Sicherheit, Gesundheit oder Technik. Man gehe von einer "Verfehlung einzelner Mitarbeiter" aus.

Auf Facebook schrieb der Sender an die Zuschauer: "Wir sind genau so enttäuscht wie ihr von den Dingen, die in der Nacht zum Montag passiert sind. Und wir verstehen, dass die Newtopia-Community sehr sauer ist." Das Format sei aber "nicht gescripted". Am Dienstag dann wurde die "verantwortliche Person von ihrer Tätigkeit entbunden", so Talpa, die Produktionsfirma sprach von einem "menschlichen Fehler". Und: Producer oder Sender setzten keine geheimen Meetings "mitten in der Nacht an".

Nur war das in der neuen Welt der Fernsehutopie offensichtlich nicht allen Mitarbeitern bekannt.

© SZ vom 15.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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