Theo Sommer wird 80:Ein Leben mit der Zeit

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Journalist, Historiker, Diplomat: Die vielen Rollen der "Zeit"-Größe Theo Sommer. Beim Hamburger Wochenblatt schreibt er seit 52 Jahren. Der langjährige Chefredakteur wird 80 und empfiehlt Widerstandsgeist.

Hans-Jürgen Jakobs

Der Whisky im Schreibtisch gehört dazu. Für einen Editor-at-Large, wie seine aktuelle Berufsbezeichnung lautet, wirkt das Getränk passend. So lässt sich entspannt im Gebäude der Zeit am Hamburger Speersort über vergangene Zeiten, aktuelle Fragen und künftige Aussichten plaudern. Der Mann, den sie "Ted" nennen, liebt das Gespräch im Entspannungs-Modus.

"Die Zeit" hat sein Leben geprägt - und er hat "Die Zeit" geprägt. (Foto: dpa)

Theo Sommer ist seit 52 Jahren im Haus. Er war dabei, als die Polizei am 27. Oktober 1962 das Pressehaus umstellte, die Räume des damals am Speersort sitzenden Spiegel durchsuchte und Verleger Rudolf Augstein verhaftete. Als "Rückblick in den Abgrund" empfand er später diese Aktion der Ordnungsmacht, die als Spiegel-Affäre bekannt wurde und in Wahrheit eine Affäre Franz Josef Strauß war. Mit dem Staatsverständnis des promovierten Geschichts- und Politikwissenschaftlers war die Razzia nicht in Übereinstimmung zu bringen.

Bei der Zeit selbst hat Theo "Ted" Sommer in mehr als fünf Jahrzehnten alle Höhen und Tiefen erlebt. Die wirtschaftlich mageren ersten Jahre. Das produktiv-schwierige Verhältnis mit Gerd Bucerius, der ein klassischer Verleger war. Der publizistische Aufstieg, auch durch 68 bedingt und durch das farbanzeigenreiche Zeit-Magazin. Die politischen Kämpfe für die neue Ostpolitik und soziale Reformen. Die Gegnerschaft zu Helmut Kohl. Und schließlich der Verkauf der Zeit nach "Bucis" Tod an Dieter von Holtzbrinck, eine Verlegergestalt auch er.

Der Schützling der Gräfin

Sommer, einst in der Nazizeit auf der Ordensburg Sonthofen und später Lokalredakteur der Rems-Zeitung in Schwäbisch Gmünd, war immer dabei. Der Ziehsohn der langjährigen Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, den einst der Tübinger Professor Theodor Eschenburg empfohlen hatte, stieg in der internen Hierarchie bald auf. Von Anfang 1973 an zeichnete er für fast 20 Jahre als Chefredakteur verantwortlich. Es folgten siebeneinhalb Jahre als Herausgeber.

Er habe das Glück gehabt, in einer Zeit Chefredakteur gewesen zu sein, als das Fernsehen noch keine Macht hatte und das Internet weit weg war, sagt er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Seine Lehre aus den Jahren mit Bucerius: "Übernimm nie alles fraglos und klaglos, was der Verleger dir zumutet. Die haben nur Respekt vor Leuten, die sich auf die Hinterbeine stellen." Es gibt genügend, die sich das hinter die Ohren schreiben könnten.

Im Vergleich der Verleger erklärt Sommer, Augstein vom Spiegel habe schärfer als sein Pendant von der Zeit gedacht. "Ich glaube, er war beharrlicher als Bucerius, auch in seiner Häme."

Gefreut habe ihn, so Sommer in der SZ, dass er bei der Zeit all die Jahre alles sein konnte: "Journalist, Historiker und in gewissem Sinne, auch Diplomat." Immerhin hat der Vielseitige einst bei Professoren wie Henry Kissinger gelernt.

Theo Sommer zum 80.
:Der Mann, den sie Ted nennen

Theo Sommer war 20 Jahre lang Chefredakteur der "Zeit", danach Herausgeber. An diesem Donnerstag feiert er seinen 80. Geburtstag. Die Bilder.

Einmal nur hat er für ein Jahr die Zeit-Redaktionsstube verlassen, damals 1969/70, als die von ihm favorisierte sozialliberale Koalition in Bonn die Arbeit aufnahm. Sommer baute für den damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt den Planungsstab auf, organisierte eine kritische Bestandsaufnahme der Bundeswehr und schrieb das erste Weißbuch. Nach dem kurzen Polit-Ausflug wechselte er rasch wieder die Seiten - eine Grenzgängerei, die heute kaum möglich erscheint. Mit Ex-Minister und Altkanzler Schmidt jedenfalls arbeitet er inzwischen seit vielen Jahren bei der Zeit zusammen.

Autorität kommt von Autor

Für Sommer war klar: "Bei uns kommt 'Autorität' von Autor." Das war sein Leitsatz. Es ging weniger um investigative Nachrichtengeschichten als um pointierte Meinungsbeiträge. Der Chefredakteur ließ es, bei aller staatstheoretischer Gründlichkeit, an Würze und Bonmots nicht fehlen. Seine internationalen Analysen hatten ihren Platz auf der Agenda der politischen Klasse. Dass er drei Jahre vor dem Mauerfall die DDR sehr weich zeichnete, nahmen ihm vor allem die Axel-Springer-Leute übel.

Er selbst räumt ein, anfangs auch den Vietnamkrieg befürwortet zu haben, was ebenfalls ein Irrtum war und zitiert Bucerius: "Nur, wer nicht schreibt, macht keine Fehler." Jedenfalls ist es ihm mit seiner zupackenden, humorvollen Art gelungen, die durchaus nicht einfache Zeit-Redaktion zu motivieren. Irgendwann gehörte Sommer zur Einrichtung wie eine englische Antiquität zum Herrenhaus.

Noch immer ist Theo Sommer überaus aktiv. Der Vater von vier Söhnen und einer Tochter joggt täglich sechs Kilometer. Und wenn heute in der eigenen Redaktion etwas aus einer Sicht Falsches über die alte Zeit verbreitet wird, dann schreibt er selbst zurück.

So korrigierte Sommer kürzlich ein Stück, in dem die langjährige Gegnerschaft zu Kohl kritisiert wurde. Die Zeit sei damals bestimmt gewesen "vom liberalen hanseatischen Geldadel, vom protestantischen Geistesadel und vom preußischen Adel" - und da habe Kohl, "der linkische katholische Kleinbürger aus der Provinz" keine Chance gehabt, lautete der Befund. Alles falsch, konterte der Editor-at-Large, und bilanzierte: "Kohl würde, hätte es die Wiedervereinigung nicht gegeben, als ein schwacher Kanzler in die Geschichte eingehen."

Sommer ist auch Herausgeber im Verlagshaus Times Media. Sein Zeit-Vertrag ist jetzt noch einmal um zwei Jahre verlängert worden. Zur Erklärung seines ungewöhnlichen Titels verweist er im SZ-Gespräch auf zwei andere Phänomene. Ein "Ambassador-at-Large" sei ein Botschafter, der keine Botschaft leitet, aber diplomatisch tätig sei. Und ein "Criminal-at-Large" sei ein entsprungener Häftling. Ein Editor-at-Large wiederum sei eine Mischung aus beidem.

Das Bild gefällt dem Freigeist mit fester Redaktionsanbindung. An diesem Donnerstag wird Theo Sommer, einer vom Areopag der Zeit, 80 Jahre alt.

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