Hörspiel:Tote Zeit

"Das Pferd" nach der gleichnamigen Geschichte des Literaturnobelpreisträgers Claude Simon erzählt von einer Welt im Übergang, vom großen Grauen, das sich ankündigt.

Von Stefan Fischer

Sie sind müde vom Krieg, die Soldaten, schon jetzt. Dass dem ersten Winter noch fünf schlimmere folgen werden, der Zweite Weltkrieg erst am Anfang steht, davon können sie sich noch keine Vorstellung machen. Die Soldaten sind gierig nach Leben, nach ihrem Alltag, der sich aber bereits auflöst. Von dem sie jedoch noch eine Vorstellung haben. Andererseits befreit sie das Soldatsein von Zwängen; von Werten, die manch einer als beengend empfindet.

Der französische Literaturnobelpreisträger Claude Simon beschreibt in seiner Erzählung "Das Pferd" von 1958 einen Übergang: Das Alte ist noch nicht komplett verschwunden, das Neue noch nicht vollkommene Realität - ausgedrückt als tote Zeit während einer zweitägigen Rast in einem Dorf im Norden Frankreichs. Simon, der den Krieg in Flandern selbst nur knapp überlebt hat, hat die Erzählung zwei Jahre später in den Roman "Die Straße in Flandern" aufgenommen, sie ist nun in deutscher Übersetzung zugänglich, und Ulrich Lampen hat die kleine Geschichte über das heraufdämmernde große Grauen jetzt als Hörspiel inszeniert.

Es ist eine aus verschiedenen Perspektiven berichtete Debatte über die irritierende neue Zeit, sie spiegelt eine Angstlust vor Enthemmung und das neue Bewusstsein, den Augenblick zu leben müssen, weil die Zukunft ungewiss ist. Erst einmal erwischt es nur ein Pferd, es verreckt jämmerlich. Dieser Tod ist die Blaupause für alles, was ist und noch kommen wird. Lampen und sein Ensemble, darunter die Schauspieler Christian Redl, Jakob Diehl und Martin Engler, haben dafür einen vitalen und doch leicht gedämpften Ton getroffen.

Das Pferd , SWR 2, Sonntag, 18.20 Uhr.

© SZ vom 20.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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