Chelsea Handler im Porträt:Ohne Rücksicht auf Verluste

Lesezeit: 4 min

Chelsea Handler, 40, ahnungslos unterwegs im Silicon Valley. (Foto: Netflix)

Chelsea Handler wurde durchs Lästern berühmt. Jetzt bekommt sie eine Doku-Show.

Von Anne Philippi

Chelsea Handler hat als Treffpunkt eines der merkwürdigsten Hotels in Los Angeles gewählt. Man verpasst vom Freeway dreimal die Auffahrt, weil es so ungünstig liegt und bricht sich beinahe das Genick bei der Suche nach der Einfahrt. Handler lebt nicht weit von diesem Monstrum in einem schönen Haus in den Hills, und sie ist nicht der Typ Frau, der Stunden für Make-up opfern und sich dann wie ein Blumengedeck in eines der üblichen Hollywoodhotels setzen würde, die Beine übereinander schlagen und nur Positives von sich geben. Chelsea Handler ist keine süße Frau.

Sie trägt ein beinahe farbloses Hemd, Jeans, kleine Kette, nur leichteste Wimperntusche. So wie man sich anzieht, wenn man schnell zum Zigarettenholen fährt. Als eine sehr große Käseplatte vor Handler auf dem Tisch abgestellt wird, verliert sie nicht die Nerven, wie das andere Menschen in dieser Stadt tun würden. "Ich glaube wir müssen das jetzt alles essen", sagt sie, und dann wird gegessen.

Chelsea Handler, 40, ist eine der wichtigsten Frauen im amerikanischen Unterhaltungsbusiness, die das deutsche Publikum dank Netflix jetzt auch endlich kennenlernen kann. Sie verfügt über eine Direktheit, eine Umweglosigkeit, die in Hollywood selten ist. Man ahnt das schon, wenn man sie sieht, ihre Kiefer- und Wangenknochen sind scharf wie Rasierklingen. Handler hält mit einer Einschätzung oder einem Kommentar zu einer peinlichen Situation nicht lange hinter dem Berg. Damit wurde sie berühmt. Ihre Show Chelsea Lately, die sie von 2007 bis 2014 auf dem Sender E! bestritt, war eine große Ausnahme im Entertainmentfernsehen. Handler sprach den Klatsch des Tages durch, und zwar auf eine Art, die dem Umgang mit einer Guillotine nahekam: für Gnade war es zu spät, wenn man in ihrer Show Thema war. Als Sidekick beschäftigte sie einen kleinwüchsigen, mexikanischen Mann namens Chuy Bravo, mit dem sie sich aufs Heftigste über die anwesenden Promis stritt. Jahrelang war Handler die einzige Komikerin, die den Ausdruck "Rücksicht auf Verluste" sicher nie gehört hatte. Jeder ihrer Witze war härter als die von David Letterman oder Bill Hader.

Doch vor etwa einem Jahr hatte Handler keine Lust mehr, im Fernsehen über Lindsay Lohan zu lästern oder für Kinofilme Werbung zu machen. "Ich hatte das Gefühl, die falschen Muskeln in meinem Gehirn zu trainieren", sagt sie. Die ausschließliche Beschäftigung mit Hollywoodstars ging ihr auf die Nerven.

Also stand ein Sabbatical an, und wie es für Handler üblich ist, ging sie das Ganze "compulsive" an, also nicht besonders rational. "Ich machte so viel wie möglich. Ich lernte Spanisch, kaufte ein Haus in Spanien, besuchte 15 Länder, las 75 Bücher." Sie besuchte ein Detox-Spa in Österreich, schaute dort alle Mad Men-Folgen hintereinander an, weil es "ab fünf nichts mehr zu essen und zu tun gab". In diesem Jahr ohne Trash überlegte sich Handler eine neue Show mit dem Namen Chelsea Does, die vor einigen Tagen mit vier Dokus auf Netflix startete und zu deren Herstellung sie zunächst jede Kontrolle abgeben musste. "Das tat gut. Die Regisseure setzten mich verschiedenen Situationen aus. Ich machte, was sie wollten." Diese Situationen waren gekoppelt an Themen, die Amerika prägen: Rassimus, das Silicon Valley, Drogen und das Heiratsbusiness.

Einmal fragt sie ihren Vater, ob er einen ihrer Ex-Freunde mochte. Die Antwort: "Nein"

Die Ehe-Folge, in der Handler zum Heiratsirrsinn in den USA recherchiert, schien für Chelsea die größte Herausforderung. "Die Regisseure schickten mich auf Blind Dates und wollten, dass ich mit meinen Exfreunden vor der Kamera über das Thema Ehe rede. Nur sprach ich leider mit keinem meiner Ex-Freunde mehr", sagt Handler, die ihren Vater in der Folge befragt, ob er auch nur einen ihre Ex-Freunde mochte. Die Antwort: "Nein."

In der Folge über Drogen untersucht Handler, wie die Familie das Leben prägt. Sie nimmt das Sedativum "Ambien" (in Hollywood eine beliebte Droge) und malt unter Medikamenteneinfluss Familienporträts. Sie unterzieht sich in Peru einer Zeremonie mit der in Hollywood ebenfalls gerade sehr beliebten LSD-artigen Substanz Ayahuasca. Im Rausch erinnert man sich an Dinge, die zum Erinnern zu lange her oder zu schmerzhaft sind. Chelsea setzte sich im Tanktop heulend vor die Kamera. "Ich sah vor mir, wie meine Schwester und ich Kajak fuhren und ins Wasser fielen. Es war schön. Das hatte ich vergessen. Ich rief sie an und sagte ihr, wie schön es war. Normalerweise streite ich oft mit ihr, ich finde, sie macht zu wenig aus sich. Ein paar Wochen später habe ich sie am Telefon schon wieder angebrüllt. Sie macht mich wahnsinnig."

Die Highlights sind jedoch die Folgen zu Rassismus und dem Silicon Valley. Um dem Rassismus auf die Spur zu kommen, versammelt Handler Afroamerikaner, Chinesen, jüdische Rabbiner, Mexikaner und Muslime an einem Tisch, um alle möglichen Vorurteile durchzusprechen. Sorgfältig. Hammerhart, oder um es mit Handler zu sagen: "Ich möchte an einem Ort leben, wo eine Person jeder Hautfarbe mit mir flirten kann." Die Anwesenden dürfen mit ihr schimpfen, sie zurechtweisen, wenn sie rassistische Dinge sagt. So funktioniert ein Gespräch über Rassismus. Auch weil Handler zuhört und die Antworten aushalten kann.

In der Folge über das Silicon Valley fliegt sie in einem Privatflugzeug nach Palo Alto. "Ich bin besessen, wenn es um Technologie geht, habe aber letztendlich keine Ahnung davon. Jedes Mal, wenn ein neues Telefon rauskommt, muss ich dazulernen und das setzt mich unter Druck." Es ist ein Vergnügen, wenn man Handler im blauen Businesshemd und sehr ernster Miene unter all den T-Shirt tragenden "Brogrammern" (männliche Programmierer) herumlaufen sieht und hofft, dass sie diese Welt mit Fragen in die Luft sprengt.

Im Mai wird es mehr von Handler auf Netflix geben, eine Show, in der sie die Welt außerhalb der USA bereist. "Ich werde in Russland mit Eisprinzessinnen sprechen und ihren Trainingsalltag verfolgen. Ich kann es kaum erwarten, nach Moskau zu fahren und werde wie bei jeder Reise acht Kilo zunehmen." Vor Putin fürchtet sie sich übrigens nicht. Vor ein paar Monaten postete Handler auf Instagram ein Foto, auf dem sie den russischen Präsidenten imitierte: Sie ritt barbusig auf einem Pferd. Handlers Foto wurde von Instagram dreimal entfernt. Sie hatte die "Community Guidelines" der App verletzt. Und genau auf diese Art erklärt uns Chelsea Handler die Welt.

Chelsea Does , abrufbar bei Netflix.

© SZ vom 06.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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